Die Trinity-Anomalie (German Edition)
Denn er wollte ein Wunder erleben.
Er hatte sich eingeredet, das Seminar biete ihm die einmalige Chance einer kostenlosen Hochschulausbildung. Er hatte sich auch eingeredet, er würde noch vor seinem sechsundzwanzigsten Geburtstag ein Wunder erleben, dann hätte er sein Leben noch vor sich, einen guten Uni-Abschluss in der Tasche und seine Verbindung zu dem Gauner wäre ein für alle Mal vergessen.
Er hatte sich so vieles eingeredet. Sogar, dass er, wenn es ihre Bestimmung sein sollte, vielleicht doch noch mit Julia zusammenkommen würde.
Er war ein intelligenter Junge. Klug genug, um sich alles Mögliche einzureden und für alles eine plausible Begründung zu finden.
Aber der Wahrheit konnte er nicht ins Auge sehen. Und die Wahrheit war, dass er ein sehr zorniger junger Mann war, aber nicht einfach nur zornig. Trinitys Verrat seines kindlichen Vertrauens hatte ihm den perfekten Vorwand für diesen Zorn geboten, aber im Grunde hatte schon immer tief unter seiner ruhigen Oberfläche eine heftige Wut getost. Wut über die im Kindbett gestorbene Mutter und vor allem über den Vater, der sich lieber umgebracht hatte, als seinen Neugeborenen großzuziehen.
Und Wut über sich selbst. Denn unter alledem, in seinem tiefsten Innern schwelte stets der eine Gedanke:
Ich habe meine Eltern umgebracht.
Im Seminar hatte Daniel mit Therapeuten der Kirche an diesem Problem gearbeitet und im Laufe der Zeit gelernt, seine persönliche Geschichte zu akzeptieren. Er schleppte kaum mehr seelischen Ballast mit sich herum als andere auch, und er konnte jetzt auch ehrlich mit sich selbst sein, meistens jedenfalls. Mehr konnte man eigentlich nicht erwarten, fand er.
Er änderte seine Fußstellung, schob den rechten Fuß vor und verpasste dem Sandsack ein paar rechte Jabs und linke Haken.
Wenn es ihre Bestimmung sein sollte …
Würde er tatsächlich wieder mit Julia zusammenkommen? Trinity schlief noch, aber Daniel war schon nach fünf Stunden aufgewacht. Der Gedanke, dass er sich heute mit ihr treffen würde, hatte ihn aus dem Schlaf gerissen.
Heute würde er sie wiedersehen.
Und dann?
Aber das hatte noch Zeit. Er musste sich zuerst einmal auf ganz praktische Probleme konzentrieren. Zum Beispiel darauf, seinen Onkel zu beschützen.
Trinity hatte sich fest vorgenommen, wieder öffentlich zu predigen. Wenn das Zungenreden wieder einsetzte, sollte die Allgemeinheit daran teilhaben. Außerdem wollte er verkünden, was er über »Gottes einziges Gebot«, wie er es nannte, erfahren hatte.
Daniel sagte, das sei reiner Selbstmord, und schlug vor, seine Botschaften an die Welt von einem sicheren Ort aus übers Fernsehen auszusenden. »Man hält keine Predigt über Liebe von einem Bunker aus«, hatte Trinity störrisch erwidert, »sondern man tritt der Welt mit offenen Armen entgegen.« Er ließ sich einfach nicht davon abbringen.
Und damit nicht genug: Er wollte Zeit und Ort seiner nächsten Predigt im Voraus ankündigen, und zwar auf CNN bei einem Interview mit Julia. Daniel wollte gern sein Versprechen eines Exklusivinterviews für Julia einlösen, aber diese Ankündigung würde es nicht einfacher machen, das Leben seines Onkels zu schützen.
Trinitys Leben schützen …
Aber wie, wenn sie nicht einmal wussten, woher die Bedrohung kam? Samson Turner hatte für einegroße, renommierte Sicherheitsfirma gearbeitet. Das sagte aber nichts darüber, wer hinter den Anschlägen steckte. Es konnte jede finanzstarke Organisation sein, der daran lag, den Status quo zu bewahren.
Und wie würde der nächste Schritt des Vatikans aussehen? Pater Nick würde niemals einem Mord zustimmen, aber wie weit würde Conrad Winter gehen? Gab es eine Grenze, die Conrad auch für »das übergeordnete Wohl« nicht überschreiten würde? Schwer zu sagen.
Daniel traktierte gerade den Sandsack mit einem Schlaggewitter, als Pater Henri hereinkam.
»Du lässt noch immer die Linke fallen«, sagte Pater Henri beiläufig, als wäre Daniel nur eine Woche weg gewesen. »Wie oft soll ich dir das denn sagen?«
Daniel packte den großen Ledersack und brachte ihn zur Ruhe. »Ohne Sie hätte ich nie die Golden Gloves gewonnen«, sagte er.
»Da hast du allerdings recht«, sagte Pater Henri.
Das Treffen mit Julia war zwar nicht romantischer Natur, aber Daniel hatte trotzdem Schmetterlinge im Bauch. Pat kam nach New Orleans und passte im Boxverein auf Trinity auf. Pater Henri wärmte ihnen rote Bohnen mit Reis auf, während Daniel sich frisch geduscht und rasiert,
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