Die Trinity-Anomalie (German Edition)
für das leibliche und seelische Wohl der Leute im bitterarmen Lower Ninth Ward zu sorgen. Er ging immer noch regelmäßig mit seiner Show auf Reisen, aber jetzt mit dem Flugzeug, und anstatt Zelte aufzuschlagen, mietete er ganzeStadien an. Ein paar Jahre nach Errichtung der Kirche wurde in ganz Louisiana zum ersten Mal zu später Stunde
Tim Trinitys wunderbare Wohlstandswachstumsstunde
ausgestrahlt, und bald darauf kaufte Trinity Sendezeit auf landesweiten Kabelsendern.
Die Wortgotteskirche betrieb nicht nur eine Suppenküche. Trinity ließ außerdem in Afrika fünfhundert Brunnen mit sauberem Wasser graben und fünfzig Schulen bauen und in Haiti ein medizinisches Versorgungszentrum. Nur ein winziger Anteil der Beute, nahm Daniel an, aber gerade genug, um Trinity den Anschein der Seriosität zu verleihen und ihm Steuerfreiheit zu sichern.
Laut Biografie hatte Gott dem Reverend befohlen, nach Atlanta zu gehen, nachdem der Hurrikan Katrina seine Kirche zerstört hatte. Und Trinity hatte gehorcht.
Unten auf der Seite stand ein Bibelzitat:
»Und durch seine Erkenntnis wird er, mein Knecht, der Gerechte, den Vielen Gerechtigkeit schaffen; denn er trägt ihre Sünden.« Jesaja 53,11
Eine seltsame Wahl, denn diese Stelle stammte aus dem Alten Testament. Oder, wie Trinity es immer scherzhaft (hinter verschlossenen Türen) genannt hatte, dem »Judenbuch«. Aber eines machte Daniel stutzig: Christen sahen in Jesaja 53 eine Prophezeiung des Lebens Jesu, und diese Stelle am Ende seiner Biografie zu zitieren, schien wie der Versuch, sie auf Trinity selbst zu beziehen.
9
Allmächtiger Gott, dessen Sohn vom Geist geführt wurde, um vom Satan versucht zu werden, komme schnell und hilf uns, die wir von vielen Versuchungen heimgesucht werden, und da du die Schwächen eines jeden von uns kennst, gib, dass ein jeder von uns deine Macht erfahre und erlöst werde durch Jesus Christus, deinen Sohn, unseren Herrn, der in der Einheit des Heiligen Geistes mit dir lebt und herrscht, jetzt und in Ewigkeit. Amen.
Gebet zur Fastenzeit
10
Rom
Als Pater Giuseppe Sorvino den Taxifahrer bat, ihn zur Piazza del Popolo zu fahren, bemühte er sich bewusst, gebrochenes Italienisch mit starkem deutschen Akzent zu sprechen. Er bellte das Fahrziel wie einen Befehl, wedelte mit dem Stadtplan zwischen den Sitzen vor sich herum und sagte nicht »bitte«. Giuseppes Bruder war Taxifahrer und hatte sich oft genug über deutsche Touristen beschwert. Angeblich waren sie noch unhöflicher als Amerikaner. Ob das nun stimmte oder nicht, es entsprach dem Klischee, und Giuseppe wollte als
Typus
wahrgenommen werden und nicht als Person. Eben irgend so ein Tourist, den man sofort wieder vergisst.
Aber wenn man nur einen Arm hatte, vergaßen einen die Leute nicht so leicht, deshalb trug Giuseppe seine spezielle Windjacke. Der linke Ärmel war unterhalb des Ellbogens mit Schaumgummi gefüllt und ein Tennisball war von innen an das elastische Bündchen genäht und mit Stecknadeln in der linken Tasche befestigt. Einer genaueren Begutachtung würde es nicht standhalten, aber wenn er ständig in Bewegung blieb, merkte kaum jemand, dass ihm ein Arm fehlte. Ansonsten war er gekleidet wie die anderen Touristen. Er trug eine adrette Bluejeans und unter der Windjackeein lindgrünes Polohemd. Nichts, das ihn als Priester hätte identifizieren können.
Immer noch in schlechtem Italienisch und mit dem Stadtplan in der ausgestreckten Hand fügte er hinzu: »Ich weiß, wo das ist. Also fahren Sie ja keinen Umweg.«
Der Fahrer grinste spöttisch und sah wieder nach vorn auf die Straße. »
Sì, mein Führer
«, sagte er, als er seinen Fiat in Bewegung setzte.
An der Westseite der Piazza forderte Giuseppe den Fahrer auf anzuhalten, zahlte und stieg direkt am Neptunbrunnen mit seinen zwei Delfinen aus. Er lief – nicht zu schnell – zur Mitte des großen, ovalen Platzes, an dem in der Vergangenheit häufig öffentliche Hinrichtungen stattgefunden hatten. Am Obelisk Ramses’ II. blieb er stehen und setzte seine Sonnenbrille auf.
Den Obelisken hatte Augustus im Jahre 10 v. Chr. aus Ägypten mitgebracht und 1589 wurde er an seinen heutigen Platz gestellt. Giuseppe hatte ihn schon Tausende Male gesehen, aber er stand davor und tat so, als wäre er ein Tourist, der ihn zum ersten Mal erblickte. Er ging langsam um ihn herum und betrachtete die Touristenmassen, die über den Platz schlenderten, um sicherzugehen, dass er nicht verfolgt wurde. Dann steckte er den Stadtplan in
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