Die Trinity-Anomalie (German Edition)
Landkarte getilgt. Die meisten ärmeren Viertel waren vollkommen verwüstet worden.
In jenem Augenblick wurde Trinity bewusst, dass er in New Orleans als Wohlstandsprediger am Ende war. Seine Lebensgrundlage war ihm entzogen worden. Der Markt war zusammengebrochen. Es hieß, niemand war so arm, dass er nicht ein paar Dollar für Whiskey und Erlösung übrig hatte, aber dies war etwas ganz anderes. Es ging ums nackte Überleben.
Den Lower Ninth Ward gab es nicht mehr, aber die ganze Stadt würde jetzt eine Suppenküche brauchen. Natürlich könnte Trinity in ein paar Tagen zurückkehren und auf CNN wie ein Held daherkommen, aber was würde das bringen? Bei den Einheimischen war nichts mehr zu holen, wahrscheinlich auf Jahre nicht. Und die ganze Infrastruktur war zerstört. Wie lange würde es dauern,bis seine Sendung wieder ausgestrahlt werden und er aus anderen Landesteilen Geld beziehen könnte?
Wenn er blieb, sehr lange.
Als sie Baton Rouge erreichten, hatte Trinity bereits den Entschluss gefasst, einen neuen Anfang in Atlanta zu machen. Er hatte reichlich Geld auf der hohen Kante und konnte in ein, zwei Monaten alles aufbauen und betriebsbereit machen. Und er hatte sich immer eingeredet, er könne mit den ganz Großen aus der Großstadt mithalten. Nun hatte er Gelegenheit, es zu beweisen.
Trinity kaufte ein großes Lagerhaus in Vine City, einem Armenviertel von Atlanta. Innerhalb eines Monats war es mit Predigtbühne, Zuschauersitzen, Kameras, Beleuchtung und einem Regieraum ausgestattet. Er war wieder im Geschäft. Im zweiten Monat baute er seine Gemeinde auf, und im dritten Monat war er wieder auf Sendung. Seine neue Kirche war von Anfang an ein voller Erfolg, und das Geld floss in seine Taschen wie nie zuvor.
Aber mit den Stimmen hatte er nicht gerechnet.
Als es losging, schrieb er es dem Stress zu, und ein Arzt aus Atlanta verschrieb ihm Valium. Als das nicht half, versuchte der Doktor es mit Ativan, dann mit Xanax und dann mit Serax. Als keines der Medikamente gegen Angstzustände half, wechselte er zu Antidepressiva: Prozac, Zoloft, Effexor. Aber die halfen auch nicht.
Dann, nach einem Jahr vergeblicher pharmazeutischer Versuche, fand sich Trinity damit ab, mit den Stimmen zu leben. Aber dann wurden sie stärker, und bald brachten sie die Zungen mit sich. Zungen, die über ihn kamen wie epileptische Anfälle, vollkommen unkontrollierbar. Diese Anfälle ereigneten sich oft während seiner Predigten und sorgten für eine tolle Show, aber sie kamen auch, wenn er gerade nicht auftrat. Unter der Dusche oder während einer Autofahrt, unvorhersehbar. Oft wurde er nachts davon wach. Er war vollkommen entkräftet und wusste, lange konnte es so nicht weitergehen. Irgendetwas musste sich ändern.
Dann, eines Abends, saß Trinity vor dem Fernseher, zappte durch die Sender und hatte Angst einzuschlafen. Er landete schließlich bei einem Dokumentarfilm über Sucht, in dem ein Kokainsüchtiger sagte, Koks bringe die Stimmen in seinem Kopf zum Schweigen.
Trinity hatte nie etwas mit illegalen Drogen zu tun haben wollen, hatte nie auch nur Gras geraucht, aber er war auch noch nie in seinem Leben so verzweifelt gewesen. Am nächsten Morgen kaufte er zum ersten Mal Drogen, und noch am gleichen Abend, als sein Kopf anfing zu pochen und die Stimmen ihn heimsuchten, sniffte er seine erste Line.
Und die Stimmen verschwanden.
15
Daniel stand in Tim Trinitys Garten, im Schatten verborgen, und fotografierte durch das Fenster des Arbeitszimmers. Er machte Fotos von seinem Onkel, wie er Kokain nahm. Als er die Kamera langsam sinken ließ, dachte er:
Was zum Teufel hast du erwartet?
Aber was er auch erwartet hatte, das ganz bestimmt nicht.
Daniel hatte genug gesehen und es wurde langsam spät. Zeit, die Observation zu beenden. Er kletterte den Zaun hoch und sprang in die bewaldete Senke hinter Trinitys Grundstück. Leise machte er seinen Weg durch das Gestrüpp und lauschte dem Quaken der Frösche, dem Zirpen der Grillen und den Rufen ferner Kojoten. Schließlich erreichte er den Zugangsweg zur Senke am Ende der Straße.
In den umliegenden Villen war es still, als er zu seinem Mietwagen zurückging. Er fragte sich, was wohl in Tim Trinitys Leben schiefgelaufen war, dass er jetzt Koks sniffte. Er hatte immer viel getrunken, klar, aber für die Leute aus dem Süden, insbesondere aus New Orleans, war Alkohol wie Muttermilch.
In all ihren gemeinsamen Jahren hatte Daniel seinen Onkel nie so offensichtlich
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