Die Trinity-Anomalie (German Edition)
ein über fünfhundert Quadratmeter großes Herrenhaus aus Stein, und die Naturgewalten konnten ihm nicht viel anhaben. Er beschwor jedoch seine Gemeindemitglieder, sich in Sicherheit zu bringen, und sie folgten seiner Bitte. Bevor sie sich davonmachten, rief er aber ein halbes Dutzend kräftige junge Männer zu sich. Die Jungen schleppten hundertzwanzig Krüge Kentwood-Springs-Wasser von einer Rite-Aid-Drogerie in der Nähe zu Trinitys Haus. Sie nagelten die riesigen Fenster im Erdgeschoss zu, halfen ihm, die Sturmschutzläden im ersten und zweiten Stock zu sichern und häuften Sandsäcke vor seiner Dreifachgarage auf. Und als ihre Eltern die Jungen abholten, gab Trinity jedem tausend Dollar in bar für die »Reisekosten«.
Am 28. August 2005 wurde Katrina zu einem Hurrikan der Kategorie fünf hochgestuft. Um zehn Uhr morgens, nur zwanzig Stunden, bevor der Sturm die Küste erreichte, hielt Bürgermeister Ray Nagin eine Pressekonferenz und ordnete die Zwangsevakuierung an. Die Nationalgarde wurde zu Hilfe gerufen und der Louisiana Superdome wurde als Notunterkunft für diejenigen eingerichtet, die nicht mehr rechtzeitig wegkamen. Etwa zehntausendMenschen suchten dort Zuflucht, von denen viele sich später wünschten, sie hätten sich anders entschieden.
Der Sturm würde sicher heftig ausfallen, aber die Ausfallstraßen waren schon vollkommen verstopft und Trinitys Villa war gut verbarrikadiert. Außerdem ließ Trinity sich vom Robért Fresh Market genug haltbare Lebensmittel liefern, um hundert Leute eine Woche lang zu ernähren. Er hatte ein kleines Kurzwellenradio, eine wasserdichte Taschenlampe mit haufenweise Batterien und für alle Fälle eine halb automatische .45-Pistole und zweiundsiebzig Hohlspitzgeschosse. Er war gut vorbereitet.
Die nächste Nacht zog sich und Trinity war so angespannt, dass er nicht schlafen konnte. In den Nachrichten hieß es, um die hunderttausend Leute würden nicht mehr rechtzeitig wegkommen. Es würde viele hungrige Mäuler zu stopfen geben, wenn er seine Suppenküche wieder öffnete.
Die Reichen hatten New Orleans schon lange verlassen, und abgesehen von Trinity war Lakeview menschenleer. Aber die Hurrikan-Party war eine alte Tradition, und als der schwarze Himmel langsam zu Grau aufhellte, mixte er einen riesigen Sazerac – nach Originalrezept mit Absinth und Cognac anstatt Whiskey – und fing an, sich in Erwartung des großen Spektakels ordentlich zu betrinken.
Katrina erreichte am 29. August 2005 um 6:10 Uhr mit einer Windgeschwindigkeit von über zweihundert Stundenkilometern die Küste. Eine Zeit lang hieß es im Radio, der Sturm würde nach Osten abdrehen und die Gefahr wäre gebannt. Aber dann änderten sich die Radiodurchsagen, und Katrina brach mit einer fast sieben Meter hohen Sturmwelle über die Stadt herein.
Es heißt, ein Hurrikan höre sich an wie ein Güterzug. Das stimmt nicht ganz, aber der Vergleich ist trotzdem gut. Tim Trinity schlenderte durch sein riesiges Haus, von einem leeren Zimmer zum nächsten, und lauschte dem anrollenden Güterzug der Natur, schlürfte seinen Sazerac und war rundherum mit sich zufrieden.
Sein Vater war ein nicht sehr erfolgreicher Klinkenputzer gewesen – Staubsauger, Lexika, Aluminiumverkleidung und was sonstnoch an den Mann gebracht werden sollte – und seine Mutter war eine arme Hausfrau gewesen, denn sein Vater wollte nicht, dass seine Mutter sich eine Arbeit außer Haus suchte, obwohl er selbst nie genug verdiente. Tim und seine kleine Schwester Iris hatten zwar nie wirklich Hunger gelitten, aber häufig gab’s nur rote Bohnen mit Reis. In jungen Jahren schon lernten sie, die Geldeintreiber am Telefon anzulügen: »Mein Daddy ist im Moment nicht zu Hause.« Während Dad ruhig grinsend danebenstand, als wäre es nur ein Spiel. Ihre ganze Kindheit hindurch trugen sie abgetragene Kleidung aus dem Secondhandladen der Volunteers of America. Sie wohnten beengt in einem schmalen, lang gestreckten Haus in der Uptown, das Mom peinlich sauber hielt.
Der junge Tim hasste seinen Vater dafür, dass er sein Versagen einfach so hinnahm, und schwor sich, Millionär zu werden. Es gelang ihm, und nicht nur das. Er wurde zum Multimillionär. Das wacklige Haus seiner Kindheit auf der Ursulines Avenue würde den Sturm sicher nicht überstehen. Aber für sein jetziges Zuhause wäre Katrina nicht mehr als ein sanfter Windhauch.
Trinity schenkte sich nach, ging nach unten und betrachtete die Haustür, an der Sturmböen und
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