Die Trinity-Anomalie (German Edition)
umstürzen wird, genau um null Uhr dreiundzwanzig. Angeblich werden zwei Spuren in nördlicher Richtung blockiert, aber Menschen sollen nicht zu Schaden kommen. Nun, das Faszinierende ist, dass wir im Voraus von dieser Voraussage wissen, wir können sie also testen. Ich habe mich mit dem Straßenverkehrsamt von Georgia in Verbindung gesetzt und man hat Statiker hingeschickt, um die Sache zu prüfen.«
»Und?«
»Und die Stützkonstruktion ist vollkommen in Ordnung. Also, falls es kein gewaltiges Erdbeben gibt, dürfte die Werbetafel um null Uhr vierundzwanzig immer noch stehen.« Julia schob einen Umschlag über den Tisch. »Man hat mich gebeten, die genaue Stelle nicht zu nennen. Die Behörden sind besorgt, dass Schaulustige den Highway blockieren könnten. Aber ich habe den Meilenpfosten und das Datum von Trinitys Weissagung aufgeschrieben. Sie können es also nach der Sendung nachprüfen. Für den Fall, dass tatsächlich etwas passiert – was unwahrscheinlich ist –, werde ich vor Ort sein.«
In einer Predigt vor zwei Wochen …
Daniel holte den Ordner aus seinem Aktenkoffer und suchte nach der Niederschrift, in der der Standort der Werbetafel angegeben war.
Auf dem Mittelstreifen stand ein Wagen der Staatspolizei von Georgia und am Kotflügel lehnte gelangweilt ein Polizist. Ein paar Meter weiter redete Julia mit einem jungen Mann, der eine Videokamera auf der Schulter balancierte.
Als Daniel aus dem Auto stieg, kam Julia auf ihn zu und umarmte ihn herzlich, aber rein freundschaftlich.
»Hallo, Fremder.«
»Anscheinend verstehst du unter ›vertraulich‹ etwas anderes als ich«, sagte Daniel.
»Wo liegt das Problem? Ich habe dich doch rausgehalten.« Julia strich sich ein verirrtes Haar hinters Ohr. »Danny, was hast du denn von mir erwartet? Das ist eine wichtige Story.«
»Bevor die hundert Leute umgekommen sind, hast du nicht so viel Interesse gezeigt.«
Ihre kastanienbraunen Augen sprühten Funken. »Danke, dass du mich daran erinnerst, ich habe mich nämlich gerade mal fünf Minuten nicht vor Gewissensbissen zerfleischt. Nun gut, ich habe dir nicht geglaubt, okay? Ich … ich dachte, du wärst verrückt geworden. Und weil ich nichts unternommen habe, mussten Menschensterben. Diese Schuld muss ich für den Rest meines Lebens mit mir herumschleppen.«
Sie sog scharf die Luft ein und schaute weg. Daniel merkte jetzt, welche Schuldgefühle, wie viel Schmerz ihr die Sache bereitete und wie sehr sie sich bemühen musste, die Fassung zu wahren. »Es tut mir leid«, sagte er. »Das war unfair von mir. Du hast recht, es war eine total verrückte Geschichte.«
»Trotzdem hätte ich der Sache nachgehen sollen«, sagte sie.
»Es ist nicht deine Schuld, Julia. Jeder hätte so gedacht wie du.«
»Auf jeden Fall mache ich so einen Fehler nicht noch einmal. Tut mir leid, wenn ich deine Gefühle verletzt habe, aber es geht hier nicht um dich. Keiner von uns hat das Recht, diese Sache unter den Teppich zu kehren.«
Auch damit hatte sie recht, und Daniel war sich bewusst, dass er sich wieder genauso verhielt wie vorher bei seinem Onkel: Er projizierte die Wut auf sich selbst auf einen anderen.
Er
war derjenige, der im Voraus von der Explosion gewusst hatte, und
er
hätte sich mehr Mühe geben müssen, sie zu verhindern. Von dieser Schuld konnte er sich nicht freisprechen.
Auf dem Seitenstreifen jenseits der vier Richtung Norden führenden Spuren sah er den weißen Kleinbus mit dem CNN-Logo. Er schaute auf seine Uhr und sagte: »Noch fünf Minuten.«
»Shooter meint, das sei der beste Kamerawinkel«, sagte Julia und zeigte auf den Mittelstreifen.
Sie liefen an dem Polizeiwagen vorbei zum Kameramann, der gerade die Videokamera auf einem Stativ befestigte. Er richtete die Kamera auf die beleuchtete Werbetafel, die sich rechts, jenseits der nach Norden führenden Fahrspuren, und etwa fünfzig Meter weiter befand.
Am linken Rand der Tafel war ein riesiger Pfirsich abgebildet, quer darüber der Schriftzug GEORGIA LOTTERY und daneben ein cooler junger Weißer in Jeansjacke. Sein Gesicht war mit Weitwinkelobjektiv aufgenommen und zur Karikatur verzerrt und sein Lächeln künstlich verbreitert. Am anderen Rand der Tafel war eine Schwarze mit kurzem, grauem Haar zu sehen, die die Hände an dieWangen hielt und ebenso übertrieben breit grinste. Zwischen den beiden regnete es Dollarscheine.
Darunter der Slogan:
HEUTE PASSIERT’S VIELLEICHT.
Julia sagte: »Die Konstruktion ist zwar nicht gerade neu, aber
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