Die Trinity-Anomalie (German Edition)
durch die Raumzeit bewegte. Der Geruch von trockenem, staubigem Gras entführte ihn in die Vergangenheit …
Zurück zum Wohnmobil, zurück zu den allsommerlichen Touren von einem Zeltgottesdienst zum nächsten.
Daniel war immer ganz aufgeregt, wenn sie auf einen unbefestigten Parkplatz neben einem großen, weißen Zelt fuhren. Er sah sich nach den Fahrzeugen der anderen Prediger um und nach den Kindern, die bereits über den Platz scheuchten. Vor allem aber hielt er nach Reverend Aulds babyblauem Wohnmobil Ausschau – und nach seiner dünnen, blonden Tochter Trixie mit ihren sommersprossigen Wangen und den verwirrenden grünen Augen. Er hoffte, sie wäre da, hoffte, sie wäre nicht da, und hatte Angst, wieder kein Wort herauszukriegen.
Er hörte eine Autotür zuschlagen und seine Zeitreise war beendet. Daniel gähnte und reckte sich. Dann merkte er, dass sie gar nicht mehr fuhren. Er blinzelte und setzte sich auf. »Was ist los? Wo sind wir?«
Er war allein im Wagen. Trinity war weg und hatte seine Bibel mitgenommen.
Daniel sah auf seine Uhr: 13:57. Mit der Hand beschattete er seine Augen und sah durch die Windschutzscheibe nach draußen. Vor ihm lag ein Platz mit verdorrtem Gras, auf dem etwa sechzig Pkw und Pick-ups parkten …
Und ein halbes Dutzend Wohnmobile …
Neben einem großen, weißen Zelt.
Schlaftrunken glaubte er ein paar Sekunden lang tatsächlich an eine Zeitreise. Dann hielt er es aber für wahrscheinlicher, dass er noch schlief und träumte.
Nein, ich sitze in dem Pick-up von diesem Redneck. Ich bin wach …
Ach du Scheiße.
Trinity hat bei einem Zeltgottesdienst angehalten.
Er sprang aus dem Wagen und schlängelte sich hastig zwischen den Autos hindurch. Auf einem PVC-Banner über ihm stand:
IN GREENVILLE IST DERHEILIGE GEIST LEBENDIG
Er stürzte in das brechend volle Zelt.
Circa zweihundert Leute – einige auf Klappstühlen, aber die meisten stehend und manche mit Camcorder in der Hand – schauten auf die Bühne, wo ein fetter Prediger immer wieder Halleluja in sein Mikrofon brüllte. Seine Stimme wurde von den Lautsprechern so sehr verstärkt, dass Daniel ein Rumoren in der Magengrube spürte. Er drängte sich durch die Menge und sah um sich.
Nach wenigen Sekunden hatte er seinen Onkel erspäht. Aber es war zu spät.
Der Prediger hörte plötzlich auf zu grölen und sah mit offenem Mund zu, wie Trinity mit der blauen Bibel in der Hand die Stufen seitlich an der Bühne hochsprang. Einige Leute sogen hörbar die Luft ein. Eine Frau rief: »Das ist Reverend Tim!« Eine andere: »Reverend Tim lebt!« Und dann: »Gelobt sei Jesus Christus!« Und dann noch mindestens ein Dutzend Mal Halleluja.
Tim Trinity winkte der Menge zu und ließ sein Tausendwattlächeln aufblitzen. »Danke, danke, Gott segne euch.« Mit der Bibel in der Hand machte er eine beruhigende Geste und die Menge verstummte. »Ich bin hier vorbeigekommen und habe das Zelt gesehen. Da spürte ich, Gott wollte, dass ich anhielt, um ein paar Worte zu sagen.« Er schüttelte den Kopf. »Nein, das stimmt nicht … Umehrlich zu sein, ich spüre nicht, wenn es mich überkommt, und ich weiß auch nicht, ob Gott durch mich in Zungen reden wird. Aber wenn nicht, werde ich auch nichts vorspielen.«
Trinity schritt würdevoll auf den anderen Prediger zu, nahm ihm mit einem Lächeln das Mikrofon ab und bedankte sich mit einem Nicken. Er wandte der Menge den Rücken zu und holte aus dem hinteren Bühnenbereich einen Stuhl. Dann setzte er sich, ließ einen langen Seufzer hören und sagte: »Ihr habt hoffentlich nichts dagegen, dass ich mich setze. Ich muss sagen, die Ereignisse der letzten Wochen waren nicht nur ein Segen. Sie haben mir auch ziemlich zugesetzt. Aber ich gebe mir Mühe, das Richtige zu tun. Und deshalb habe ich angehalten, als ich euer Zelt sah. Ich weiß, ihr habt mich alle schon im Fernsehen gesehen, aber ein paar von euch erinnern sich bestimmt: Vor meiner Fernsehzeit, da bin ich ziemlich regelmäßig nach Greenville gekommen.«
»Das wissen wir noch, Reverend Tim!«, rief ein ausgemergelter alter Mann.
»Gut, denn ich muss euch etwas beichten.« Trinity räusperte sich. »Immer wenn ich hier war, da habe ich, äh … also, ich will es nicht beschönigen … ich habe euch beschwindelt.« Fast gleichzeitig zogen die Leute erschrocken die Luft ein. Er nickte. »Ich weiß, es ist furchtbar. Ich habe euch damals übers Ohr gehauen und euch euer hart verdientes Geld aus der Tasche gezogen. Das ist
Weitere Kostenlose Bücher