Die Trinity Verschwörung
nach Westen, durch das Nadelöhr des Kreisverkehrs von Shepherd’s Bush, dann in südlicher Richtung weiter zur Kensington High Street. Die Gehsteige waren auch am frühen Abend noch bevölkert von Familien, Müttern und Vätern auf dem Heimweg von ihren sonntäglichen Zerstreuungen. Auf der Earl’s Court Road bog Tanya nach links ab in die Lexham Gardens.
» Wohin geht die Reise?«, fragte Gaddis.
» Geduld.«
Sie fuhr durch einen schmalen Torweg und parkte neben einem SUV mit getönten Fenstern. Ein altes Paar in flaschengrünen Windjacken kam drei Türen weiter aus einem Haus. Sie schauten herüber und erkannten Tanya.
» Hallo, meine Liebe.« Die Frau hob ein mageres Händchen. Ihr Mann, der einen Gehstock benutzte und noch älter als Edward Crane aussah, hatte Mühe, den Kopf beim Grüßen oben zu behalten.
» Sie kennen die Leute?«, flüsterte Gaddis. Er fragte sich, wie sicher ein sicheres Haus sein konnte, wenn die Mitarbeiter des Secret Intelligence Service von den Nachbarn gegrüßt wurden.
» Freunde von mir«, sagte sie.
Ihre Antwort bekam einen Sinn, sobald sie das Haus betreten hatten. Auf einem Abstelltisch stand eine gerahmte Fotografie, und Gaddis mochte es kaum glauben: eine Aufnahme von Tanya in enger Umarmung mit einem Mann. Das war kein sicheres Haus. Das war ihr Haus. Der Mann auf dem Foto war ihr Verlobter.
» Sie wohnen hier?«
» Ich bin so frei.«
» Ist das eine gute Idee?«
» Mögen Sie Kensington nicht?«
» Ob es eine gute Idee ist, mich in Ihr Haus einzuladen, wollte ich sagen.«
» Für den Moment ist es okay.« Sie zog hinter ihnen die Tür zu, hakte die Sicherheitskette ein und schob den oberen Türriegel vor, ein erster symbolischer Hinweis auf seine Gefangenschaft. » Morgen überlegen wir uns etwas anderes.«
Sollte er jetzt besorgt sein, weil Tanya keinen Zugang zu einem sicheren Haus hatte, oder dankbar, weil sie ihre Sicherheit riskierte, um ihm Zuflucht zu bieten? Er sah sich die Fotografie genauer an – gefesselt von dem Mann, der ihr Herz gewonnen hatte.
» Wie heißt er?«, fragte er und tippte auf das Glas.
» Jeremy.«
Jeremy sah genauso aus, wie Gaddis ihn sich bei seinem Abendessen mit Josephine Warner vorgestellt hatte: gutsituiert, zuverlässig, sportlich. Er spürte einen Stich der Eifersucht.
» Leben Sie hier zusammen?«
» Zu viele Fragen, Sam.«
» Tut mir leid. Ich will nicht neugierig sein.«
Tanya warf die Autoschlüssel auf den Abstelltisch. » Sie sind es aber«, sagte sie und verzieh ihm mit ihrem Blick. » Normalerweise leben wir hier zusammen, aber diese Woche ist er im Ausland. Er arbeitet für eine nichtstaatliche Organisation in Simbabwe. Nächstes Jahr wollen wir heiraten.«
Sie bat Gaddis in das Wohnzimmer, einen mit Möbeln und Bücherregalen vollgestellten Raum mit großem Fenster zur Straße hin, einer Treppe in der Mitte und einer Tür am hinteren Ende, die offenbar zu einer kleinen Küche führte. An den Wänden hingen zahlreiche Porträts und Landschaften von Künstlern, die Gaddis nicht kannte. Parallel zum Fenster stand ein geölter hölzerner Esstisch, zwei Sofas waren vor einem großen Flachbildfernseher zu einem L aufgestellt. Das Haus wirkte weder sonderlich gemütlich noch einladend, und kurz kam ihm der Gedanke, Tanya könnte ihn schon wieder hereingelegt haben. Vielleicht war das Foto mit einem Kollegen vom SIS gestellt worden, und die anderen Fotos von ihr überall im Raum hatte sie aus ihrem richtigen Haus herbeigeschafft. Aber welchem Zweck hätte solch ein Komplott dienen sollen? Warum sollte sie das tun? Warum sollte sie ihn jetzt noch täuschen?
» Tee?«, fragte sie.
» Gerne.«
Die Küche war glatt und zeitgemäß wie eine Musterküche von IKEA , aber immerhin schien sie bewohnt zu sein. Zeitungsausschnitte und Nachrichten waren mit Magneten am Kühlschrank befestigt, die Kochbücher auf einem Regal in der Ecke sahen gründlich abgegriffen aus, an einem Haken neben dem Fenster zum Garten hing ein rußig-schwarzer Wok an der Wand. So leben unsere Spione, dachte Gaddis. Genauso wie wir Nichtspione. Er verriet Tanya, dass er den Tee schwarz mit zwei Stück Zucker wünschte, was sie mit der Bemerkung » also russisch« kommentierte. Tanya im Raum herumgehen, Löffel aus der Schublade nehmen, Milch aus dem Kühlschrank in ein Kännchen schütten zu sehen war für ihn mindestens so überraschend wie der Anblick der Armbanduhr in Gatwick. Er hatte sie sich so nicht vorgestellt und auch nicht damit
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