Die Troja-Mission
mussten, schwammen sie sofort in die Vorkammer. Die alten Gemäuer waren wieder einsam und verlassen. Erst gestern war es hier noch zugegangen wie im Wartesaal eines Flughafens. Inzwischen aber waren die Wissenschaftler, die sämtliche Ecken und Winkel untersucht hatten, wieder oben auf dem Schiff, wo sie die geborgenen Gegenstände auflisteten, bewerteten und für die Konservierung vorbereiteten. Dirk und Summer hatten die versunkenen Kammern ganz für sich. Und da keine Archäologen dabei waren, die ihnen auf die Finger schauten, mussten sie diesmal auch nicht mit Samthandschuhen zu Werke gehen.
Wie geplant fingen sie mit ihrer Suche in der Vorkammer an, wo sich jeder eine Wand vornahm und mit einer Spachtel sämtlichen Bewuchs und die Überkrustungen abkratzte, bis der blanke Stein zum Vorschein kam, wohl wissend, dass sie in den Augen eines gewissenhaften Archäologen eine Todsünde begingen. Sie machten sich aber durchaus überlegt ans Werk, nutzten ihr historischen Wissen und schabten die Wände zunächst der Länge nach in einer Höhe von etwa einem Meter vierzig bis einem Meter sechzig ab – etwa in Augenhöhe der Menschen, die vor dreitausend Jahren bekanntlich ein ganzes Stück kleiner gewesen waren.
Trotzdem kamen sie nur langsam voran. Nachdem sie eine Stunde lang vergebens gesucht hatten, kehrten sie auf die
Sea Yesteryear
zurück und tauschten ihre fast leeren Pressluftflaschen gegen volle. Obwohl sie wie alle Versorgungsschiffe der NUMA Druckkammern an Bord hatte, überprüfte Dirk per Computer sorgfältig ihre Tauchzeittabellen, um jeden Deko-Unfall zu vermeiden.
Bei ihrem zweiten Tauchgang drangen sie von der Vorkammer aus tiefer in den dahinter liegenden Gang vor. Nach etwa zwanzig Minuten klopfte Summer mit dem Griff ihrer Spachtel an die Wand, um Dirk auf sich aufmerksam zu machen. Er schwamm sofort zu ihr und blickte auf das frei geschabte Wandstück, auf das sie aufgeregt deutete.
Dirk nickte und reckte den Daumen hoch. Dann machten sie sich gemeinsam ans Werk und kratzten fieberhaft die verkrusteten Wände ab, achteten zugleich aber darauf, dass sie den kostbaren Fund nicht beschädigten, der im Dämmerlicht zum Vorschein kam. Nach einiger Zeit hatten sie die in den Stein gehauenen Bilder freigelegt. Triumphierend blickten sie einander an, als ihnen klar wurde, dass sie schlauer gewesen waren als die Profis und etwas vor Augen hatten, das seit dreitausend Jahren kein Mensch zu Gesicht bekommen hatte.
Diese Abbildungen lieferten endlich einen Hinweis, mit dem sich das Geheimnis dieses versunkenen Gebäudes vielleicht lüften ließ. Dirk richtete die Unterwasserlampe auf die Umrisse im Stein und leuchtete sie aus. Dann suchten sie weiter und stellten fest, dass sich die Bilder in einem rund einen halben Meter breiten Fries den ganzen Gang entlangzogen, an beiden Wänden, jeweils etwa einen Meter fünfzig über dem Boden. Sie ähnelten den Abbildungen auf dem berühmten Teppich von Bayeux, auf dem die Schlacht von Hastings und die Eroberung von England durch die Normannen dargestellt werden.
Dirk und Summer schwebten im Wasser und starrten geradezu ehrfürchtig auf die Segelschiffe, die da in die Wand gehauen waren, und die Männer, die darin saßen. Sonderbar aussehende Männer waren es, mit großen runden Augen und langen Bärten. Sie waren mit langen Dolchen, kurzen Schwertern und Streitäxten bewaffnet. Manche fuhren in Streitwagen, die Mehrzahl aber focht zu Fuß.
Hier waren grimmige Schlachten wiedergegeben, bei denen viel Blut vergossen wurde. Allem Anschein nach handelte es sich um einen längeren Krieg mit zahlreichen Gefechten. Auch Frauen mit bloßer Brust waren abgebildet, die Speere auf die Feinde schleuderten.
Summer strich mit dem Handschuh über die Umrisse der weiblichen Gestalten. Dann wandte sie sich an Dirk und warf ihm einen hochmütigen Blick zu.
Am Anfang des Wandfrieses waren Schiffe dargestellt, die von einer brennenden Stadt fortsegelten. Ein Stück weiter hinten wurden die Schiffe von Stürmen gepeitscht; danach lieferten sich ihre Insassen allerlei Kämpfe mit seltsam aussehenden Wesen. Und schließlich war nur mehr ein Schiff von der ganzen Flotte übrig. Kurz vor dem Ende des Ganges waren ein Mann und eine Frau dargestellt, die einander umarmten, bevor er mit einem Floß in See stach, das mit einem Segel bestückt war.
Sie hatten offenbar eine Art Chronik entdeckt, die von einem Künstler vor dreitausend Jahren in den Stein gehauen worden war und seit
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