Die Troja-Mission
Stock tiefer gelegenen Konferenzraum, wo Sandecker eine Besprechung über die keltischen Funde auf der Navidad Bank anberaumt hatte.
An dem großen ovalen Teakholztisch, der einem Schiffsdeck nachempfunden war, hatten Hiram Yeager, Dirk und Summer Pitt sowie St. Julian Perlmutter Platz genommen. Neben Summer saß Dr. John Wesley Chisholm, Professor für Vor- und Frühgeschichte an der University of Pennsylvania. Chisholm wirkte auf den ersten Blick eher unscheinbar. Er war mittelgroß, mittelschwer und hatte mittelbraune Haare, die zu seinen Augen passten. Doch er besaß eine ungeheure Ausstrahlung, lächelte stets, war höflich und freundlich und verfügte über einen außergewöhnlichen Verstand.
Im Augenblick aber hatten sich alle Dr. Elsworth Boyd zugewandt, der vor einem großen Monitor stand, auf dem eine Reihe von Fotos zu sehen war, und einen Vortrag über die Artefakte und die in den Stein gehauenen Abbildungen hielt, die man auf der Navidad Bank gefunden hatte. Seine Darstellung war so verblüffend, so unglaublich, dass alle schweigend und wie gebannt am Tisch saßen, als Boyd die Funde beschrieb, ihr ungefähres Alter und ihre vermutliche Herkunft nannte.
Boyd war etwa Anfang vierzig, ein schlanker, drahtiger Mann mit einer Statur wie ein Akrobat, der aufrecht dastand, sich ab und zu eine rotblonde Locke aus der Stirn strich und seine Zuhörer mit taubengrauen Augen musterte. Er war Professor für Altphilologie am Trinity College in Dublin und widmete sich seit vielen Jahren der Erforschung der Kelten. Als Admiral Sandecker ihn gebeten hatte, sich die Artefakte anzusehen, die zurzeit konserviert wurden, hatte er die nächste Maschine genommen und war von Dublin nach Washington geflogen. Als er die Fundstücke und die Fotos von den Wandbildern zum ersten Mal gesehen hatte, war er wie vom Donner gerührt.
Anfangs wollte er seinen Augen kaum trauen, dann meinte er, es müsse sich um gekonnte Fälschungen handeln. Doch nachdem er die Gegenstände achtundvierzig Stunden lang eingehend untersucht hatte, war er davon überzeugt, dass sie echt waren.
Summer war vor Aufregung ganz kribbelig. Sie hatte einen Block vor sich liegen und stenografierte jedes Wort mit, eine nahezu in Vergessenheit geratene Kunst, die sie noch beherrschte.
»Im Gegensatz zu den Ägyptern, den Griechen und den Römern«, erklärte Boyd, »wurden die Kelten von den Historikern eher stiefmütterlich behandelt, obwohl sie die Basis der westlichen Zivilisation bildeten. Ein Großteil unseres kulturellen Erbes und Brauchtums – sei es auf religiösem, politischem, gesellschaftlichem oder literarischem Gebiet – entstand zu keltischer Zeit. Im Übrigen auch die Industrie, da sie die Ersten waren, die Bronze und später Eisen herstellten.«
»Und warum weiß man dann nicht mehr über diese keltischen Einflüsse?«, fragte Sandecker.
Boyd lachte. »Da liegt der Hund begraben. Vor etwa dreitausend Jahren kannten die Kelten nur die mündliche Überlieferung. Ob Brauchtum, Religion oder Moralvorstellungen – alles wurde auf diese Weise von einer Generation an die nächste weitergegeben. Erst ab dem achten vorchristlichen Jahrhundert finden sich schriftliche Aufzeichnungen. Selbst als die Römer sehr viel später ganz Europa unterwarfen, betrachteten sie die Kelten noch als ungehobelte Barbaren. Die römischen Beschreibungen sind denn auch alles andere als schmeichelhaft.«
»Und dennoch waren sie große Erfinder«, warf Perlmutter ein.
»Im Gegensatz zur weit verbreiteten Meinung waren die Kelten in mancherlei Hinsicht weitaus fortschrittlicher als die Griechen. Sie kannten nur keine Schrift, und sie waren keine großen Baumeister. Aber was Kultur und Zivilisation angeht, waren sie den Griechen um mehrere Jahrhunderte voraus.«
Yeager beugte sich vor. »Sind Sie bezüglich der Datierung zum gleichen Schluss gekommen wie ich mit meinen Computerberechnungen?«
»Im Großen und Ganzen, ja«, erwiderte Boyd, »wobei es auf hundert Jahre hin oder her nicht so genau ankommt. Ich glaube außerdem, dass uns die Darstellungen einen ausgezeichneten Zeitrahmen zur Entstehung von Navinia liefern.«
Summer lächelte. »Ich mag diesen Namen.«
Boyd betätigte die Fernbedienung, worauf der große Monitor an der Wand ein Bild zeigte, eine dreidimensionale Darstellung des im Meer versunkenen Gemäuers, wie es ausgesehen hatte, als es gebaut worden war. »Das Interessante dabei ist«, fuhr Boyd fort, »dass dieses Gebäude nicht nur die Wohnstätte
Weitere Kostenlose Bücher