Die Troja-Mission
einer sehr bedeutenden Frau war, einer Stammesherrscherin oder Hohepriesterin, sondern auch ihr Grabmal wurde.«
»Meinen Sie mit ›Hohepriesterin‹ eine Art Druide?«, fragte Summer.
»Eine Druidin«, antwortete Boyd nickend. »Die kunstvollen Darstellungen, aber auch ihr Goldschmuck deuten darauf hin, dass sie höchstwahrscheinlich einen hohen Rang in den Reihen der Geweihten bekleidete. Besonders aufschlussreich ist ihr Bronzeharnisch. Bislang war nur ein anderer bekannt, den eine Frau getragen hatte, und der stammte aus dem achten bis elften vorchristlichen Jahrhundert. Sie muss das eine oder andere Mal an Kämpfen teilgenommen haben. Zu ihren Lebzeiten wurde sie vermutlich als Gottheit verehrt.«
»Eine lebende Göttin«, sagte Summer leise. »Die muss ja ein spannendes Leben geführt haben.«
»Auch das hier fand ich sehr interessant.« Boyd blendete ein Foto vom Fußende des steinernen Totenbetts ein, auf dem ein stilisiertes Pferd eingemeißelt war. »Hier sehen Sie eine kunstvolle und sehr modern wirkende Darstellung eines galoppierenden Pferdes. Eine ganz ähnliche Abbildung – das so genannte weiße Pferd von Uffington – wurde im ersten Jahrhundert nach Christus in einen Kalksteinfelsen im englischen Berkshire gemeißelt. Es stellt Epona dar, die keltische Pferdegöttin. Sie wurde in der ganzen keltischen Welt wie auch im späteren Gallien verehrt.«
Summer betrachtete das Pferd. »Meinen Sie, unsere Göttin war Epona?«
Boyd schüttelte den Kopf. »Nein, das glaube ich nicht. Epona wurde in römischer Zeit als Göttin der Pferde, Maultiere und Ochsen verehrt. Man nimmt an, dass sie tausend Jahre vorher eine Göttin der Schönheit und Fruchtbarkeit war, die die Macht besaß, Männer in ihren Bann zu schlagen.«
»Ich wünschte, ich hätte ihre Macht«, sagte Summer lachend.
»Was führte zum Niedergang der Druiden?«, fragte Dirk.
»Als sich das Christentum durchsetzte und allmählich über ganz Europa ausbreitete, wurde der keltische Glaube als Heidentum verunglimpft. Vor allem Frauen zollte man nicht mehr die Hochachtung, die sie bei den Druiden genossen. Die Oberhäupter der christlichen Kirche konnten keinerlei Unbotmäßigkeit oder gar Widerstand gegen die Vorherrschaft der Männer dulden. Aber auch die Römer wollten die Religion der Druiden vernichten. Druidinnen wurden als Hexen bezichtigt. Mächtige Frauen galten als üble Kreaturen, die mit dem Teufel im Bunde standen. Herrscherinnen, die man als Muttergottheiten verehrte, wurden abgesetzt und der Männerherrschaft unterworfen.«
Gunn hatte dem Vortrag aufmerksam zugehört. »Aber die Römer beteten doch selbst heidnische Götter und Göttinnen an. Warum wollten sie den Druidenkult auslöschen?«
»Weil die Druiden ihre Ansicht nach zum Aufstand gegen Rom anstachelten. Außerdem waren sie von den grausamen Opferriten abgestoßen.«
»Was für Opferriten?«, fragte Sandecker.
»Die Druiden brachten Menschenopfer dar. Bei ihren heidnischen Bräuchen, so wurde behauptet, verstießen sie gegen jeden menschlichen Anstand. Blutige Opferriten waren nichts Ungewöhnliches. Eine weitere Überlieferung betrifft den berüchtigten ›Weidenmann‹. So berichteten die Römer, dass straffällig gewordene Männer und Frauen in ein aus Weidenzweigen geflochtenes Bildnis in Menschengestalt gesteckt und verbrannt wurden.«
Summer wirkte skeptisch. »Weiß man, ob auch Druidinnen an diesen barbarischen Riten teilgenommen haben?«
Boyd zuckte die Achseln. »Wir müssen davon ausgehen, dass sie die gleichen Aufgaben verrichteten wie die männlichen Priester.«
»Womit wir wieder bei der Frage wären, die wir uns schon hundertmal gestellt haben«, sagte Dirk. »Wie kommt es, dass eine hochrangige keltische Druidin auf einer Insel in der Karibik bestattet wurde, fünftausend Meilen von ihrer europäischen Heimat entfernt?«
Boyd drehte sich um und nickte Chisholm zu. »Ich glaube, mein Kollege kann Ihnen darauf ein paar außerordentlich interessante Antworten geben.«
»Aber zunächst«, warf Sandecker ein und wandte sich an Yeager, »möchte ich wissen, ob Sie und Max feststellen konnten, wie es dazu kam, dass dieses Gebäude fünfzehn Meter unterhalb der Wasseroberfläche liegt.«
»Es gibt so gut wie keine alten Aufzeichnungen über die geologischen Verhältnisse in der Karibik«, erwiderte Yeager, während er eine Reihe loser Blätter vor sich ausbreitete. »Wir wissen über Meteoriteneinschläge in prähistorischer Zeit oder
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