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Die Trolle

Die Trolle

Titel: Die Trolle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hardebusch
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und die ihn nicht mehr zu sehen schien. Sie hatte den Mantel um den Körper geschlungen, doch als Sten diesen zur Seite schob, sah er eine breite, tiefe Wunde in ihrer Seite, die sich von der Hüfte bis fast zur Achsel zog und aus deren ausgefransten Rändern ein stetiger Strom roten Lebenssafts floss.
    »Nati! Costin! Ich brauche Hilfe!«, schrie Sten und versuchte Linorels Mantel auf die schreckliche Wunde zu pressen, um die Blutung aufzuhalten, doch bevor die beiden anderen Rebellen überhaupt reagieren konnten, begannen Linorels Augenlider zu flattern.
    »Linorel!«, bat Sten flehentlich. »Bleib bei uns!«
    Ein letzter, tiefer Atemzug war die einzige Antwort der Wlachakin, dann erbebte ihr Leib noch einmal, und sie lag still. Tränen der Wut und Verzweiflung stiegen Sten in die Augen, als er ihren Oberkörper in die Arme nahm und sie sanft zu Boden gleiten ließ. Sorgfältig faltete er ihre blutigen Hände über der Brust und schloss ihre Augen, dann flüsterte er heiser: »Mögen die Geister über deine Reise wachen, Linorel cal Doleorman.«
    Neben ihm kniete sich Costin nieder und sagte mit erstickter Stimme: »Sichere Wege, Lino.«
    Sten spürte, wie Natiole eine Hand auf seine Schulter legte, und wandte sich von der tapferen Kriegerin ab. Er wollte etwas sagen, doch seine Stimme versagte, und er fand keine Worte. In diesem Augenblick erbebte die Tür unter einem mächtigen Schlag, und sie fuhren herum.
    »Schnell!«, rief Natiole und drückte gegen ihre provisorische Blockade. Sten tat es ihm gleich; als er sich mit dem Rücken gegen den Schrank stemmte, fiel sein Blick auf den Priester, dessen Anwesenheit in der Aufregung vollkommen untergegangen war.
    Trotz der offensichtlichen Angst des Sonnenpriesters vor den blutbesudelten Wlachaken baute sich dieser auf und rief: »Kein Blutvergießen in diesen Hallen! Das ist ein Tempel des Lichtes und des Lebens!«
    Wütend sprang Sten auf und wies auf Linorel: »Zu spät, Vorbs! In deinem Heiligtum ist bereits Blut geflossen!«
    »Ihr Barbaren! Ihr schändet …«, hob der Sonnenmagier an, doch Sten fiel ihm drohend ins Wort: »Schweig!«
    Sichtlich eingeschüchtert, zuckte der dicke Mann zusammen und wich zurück, dann fiel er auf die Knie und begann zu beten.
    Wegen der Schläge gegen die feste Pforte der Kapelle hatte Sten keine Zeit, sich um den Priester zu kümmern, doch dann endete der Angriff auf die Tür so plötzlich, wie er begonnen hatte. Die festen Bohlen der Tür erwiesen sich anscheinend als zu widerstandsfähig, um sie einfach einzuschlagen. Eine gespenstische Stille legte sich über den Hof der Festung, die auch nach etlichen tiefen Atemzügen der Eingeschlossenen noch anhielt.
    Sten sah den Priester an, der sein gemurmeltes Gebet fortsetzte.
    »Für was betest du eigentlich?«
    »Ich bete, dass die Toten den Weg ins Ewige Licht finden«, antwortete dieser mit einem Blick zu Linorel.
    »Nicht um dein eigenes Leben?«, höhnte Natiole, aber Sten fragte weiter: »Erleuchtung für die Gefallenen? Für alle?«
    »Das Göttliche Licht unterscheidet nicht zwischen Masride oder Wlachake. Meine Gebete gelten allen, die ihr Leben ließen.«
    »Beantworte mir eine Frage, Priester«, sagte Sten unvermittelt. »Kennst du einen Lángor den Erleuchteten?«
    »Nun, Lángor ist der Titel jener, die einem Kloster oder Tempel vorstehen.«
    »Das weiß ich«, gab Sten zurück, »aber ›der Erleuchtete‹? Das klingt nach einem Ehrentitel oder Beinamen, oder nicht?«
    »Nun, den Lángor von Starig Jazek nennt man den Erleuchteten, wegen seiner großen Weisheit und Demut. Aber sonst weiß ich nicht …«
    »Danke«, unterbrach Sten den Priester. »Starig Jazek sagt mir etwas, es liegt im Süden, nicht wahr?«
    »Südlich von Baça Mare, soweit ich weiß, aber ich war noch nie dort«, erläuterte der Sonnenpriester verwirrt.
    »Stimmt, jetzt fällt es mir wieder ein. Nennt man es nicht auch die Bastion des Lichtes? In der Nähe des Sireu«, erinnerte sich Sten und dachte, als der Priester bejahend nickte: Die Trolle sollten davon erfahren. Aber wie? Sein Blick wanderte wieder zu der verrammelten Eingangstür.
    Sie werden durchbrechen, es ist nur eine Frage der Zeit, überlegte Sten düster. Zorpad wird sich nicht um heiligen Boden scheren. Bald schon werden wir alle Linorel auf ihrem Weg durch die Dunkelheit des Todes begleiten. Voll hoffnungsloser Verzweiflung fuhr Sten sich mit der Hand über das Gesicht. Ich habe versagt, und auch Viçinia wird deshalb den Tod

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