Die Trolle
abkommandiert wären, hätte die Nacht schon längst wieder die Wälder bedeckt.
Die augenblickliche Gefahr war gering, denn nachts waren die Trolle gewaltige Kämpfer, die sich nicht einmal vor schwer gerüsteten Reitern fürchten mussten, wie Druan eindrucksvoll bewiesen hatte. Was mochten diese Kreaturen in einer Schlacht ausrichten?, fragte sich Sten. Solche Verbündete konnten ungeheuer wertvoll sein. Womit ihm wieder Zweifel an seinem vagen Vorhaben kamen, die Trolle an diesem Tag zu beseitigen.
Mitten in seine Überlegungen platzte Druan mit einer passenden Frage: »Was denkst du, Sten?«
»Ich frage mich, wie es wohl den Dörflern in Orvol ergeht«, entgegnete der Krieger gereizt.
»Wir mussten uns verteidigen«, rechtfertigte Druan sein Verhalten.
»Vielleicht. Aber es hätte nicht so weit kommen müssen. Du hättest tun sollen, was ich dir gesagt habe«, fauchte Sten den Troll an, der ungerührt erwiderte: »Ich wollte dich nicht allein lassen. Man muss zusammenhalten, wenn man überleben will.«
Darauf wusste Sten erst einmal keine Antwort. Natürlich hatte Druan auf eine gewisse Weise Recht, denn der Wlachake hätte ohne das Eingreifen des Trolls kaum gegen die Berittenen gewinnen können. Auch Natiole wäre wohl kaum mit dem Leben davongekommen. Dennoch war die Situation aus dem Ruder gelaufen, und es hätte leicht noch mehr Opfer geben können.
Wobei es Sten, wenn er ehrlich zu sich war, schwer fiel, den überheblichen Priester als Opfer zu sehen. Aber das war nicht der Punkt, denn Sten konnte nicht sicher sein, dass der Troll nicht noch mehr Menschen getötet hätte, wenn der Wlachake ihn nicht davon abgehalten hätte.
Möglicherweise stimmte es auch, dass der Troll ihm nur hatte helfen wollen, doch bevor Sten darauf eingehen konnte, sandte die aufgehende Sonne ihre ersten Strahlen zwischen die Stämme der Bäume. Ein schneller Blick zu Druan zeigte dem Wlachaken, dass die Trolle in ihren todesähnlichen Schlaf gefallen waren, und er seufzte laut. Jetzt hatte er also erst einmal Zeit, seine verworrenen Gedanken zu ordnen. Bis zum Sonnenuntergang würde er sich entschieden haben. Mit langsamen, gleichmäßigen Bewegungen fuhr der Stein über das Metall. Das lang gezogene Kratzen schreckte die Tiere des Waldes auf. Sten jedoch war ganz in seine Arbeit versunken. Sein Körper erledigte das Klingenschärfen von ganz allein, während er den Geist wandern ließ. Zurück zu den Tagen seiner Kindheit, als Schwerter staunenswerte Gegenstände waren, die ihm noch verboten waren. Sein erstes geschmiedetes Schwert hatte er im Alter von zehn Sommern bekommen, zusammen mit Flores, die diesen Tag ebenso herbeigesehnt hatte wie er. Zwar hatten die Zwillinge mit hölzernen Übungswaffen schon vorher den korrekten Griff und die grundlegenden Stellungen und Bewegungen erlernt. Aber als Sitei cal Dabrân ihnen das echte Schwert in die Hände gelegt hatte, war dies ein besonderer Augenblick gewesen. Es war ein Versprechen gewesen, der erste Schritt auf dem langen Weg des Erwachsenwerdens, ein Zeichen ihrer Herkunft und ihres Standes.
Damals hatte ein Schwert zu tragen mehr für Sten bedeutet, als nur eine Metallklinge zu führen. Es war ein Zeichen von Stolz und Ehre gewesen. Heute waren Schwerter einfach nur Waffen, mit denen er seinen Feinden gegenübertreten konnte. Schon lange besaß er keine eigene Klinge mehr, sondern kämpfte mit dem, was immer gerade zur Hand war. Schwerter und andere Waffen waren den einfachen Wlachaken verboten, und Sten, dessen Überleben häufig davon abhing, unerkannt und unentdeckt zu bleiben, war aus diesem Grund selten bewaffnet, wenn er durch das Land reiste. Stattdessen unterhielten die Rebellen überall Verstecke mit Vorräten und Ausrüstung, wo auch Waffen lagerten. Waffen wie dieses einfache Schwert, das er soeben schärfte, schmucklos, aber von guter Qualität. Ein Schwert zum Kämpfen und keines, das man nur in Friedenszeiten am Gürtel trug, um Reichtum und Macht zur Schau zu stellen. Ein Schwert, dessen Verlust nicht schwer wog und das einfach zu ersetzen war.
Vielleicht, grübelte Sten, waren die Trolle ebenfalls Waffen, die ausgerichtet werden konnten, zum Guten oder Bösen. Der junge Krieger hielt sich die mächtigen Kräfte der Trolle und das Ausmaß an Zerstörung und Gewalt vor Augen, das sie anrichten konnten. Allein ihr Auftauchen auf einem Schlachtfeld würde bei ihren Gegnern gewiss lähmende Furcht auslösen, und ihre Kampfkraft würde alles hinwegfegen, was
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