Die Trüffelgöttinnen (German Edition)
hellwach. Sie hatte das Gefühl, keine Sekunde geschlafen zu haben, immer wieder hatte sie sich von einer Seite auf die andere gewälzt, während sie träumte, wie sie auf einem riesigen Fußballfeld aus Vollmilchschokolade genüsslich langsam von einem riesigen schwarz-weißen Champagnersahnetrüffel überrollt wurde.
Vorsichtig öffnete sie die Augen. Ihre kindliche Hoffnung, sich in ihrem Appartement in Frankfurt wieder zu finden, hatte sich nicht erfüllt. Mit einem Satz sprang sie aus dem Bett und schaute auf den Schreibtisch. Die grüne Mappe lag da, wo sie sie gestern Abend mit einem fassungslosen Gesichtsausdruck zugeklappt hatte, die Videokassette lag daneben.
Melanie atmete tief durch. Es gab dieses unglaubliche Konzept also wirklich. Sie sollte also wirklich mit May Fisher eine Talkshow moderieren, in der die besten Schönheitstipps und –tricks vorgestellt wurden, natürlich mit Gästen, die ihre eigenen Erfahrungen und besonderen Tipps zum Besten geben oder aber sich für ihr spezielles Problem Rat holen konnten. In Teil I des Konzepts war die Moderationsstruktur zusammengefasst gewesen, er gab einen klaren Überblick über das, was von May und ihr erwartet wurde. Bis zu diesem Punkt hatte Melanie nichts Außergewöhnliches an dem Konzept finden können, eine ähnliche Talkshow hatten sie in Deutschland ja auch im Programm. Die Gäste kamen in die Sendung und erzählten der chronisch gelangweilten vor dem Fernseher hängenden, Chips kauenden Nation, wie sehr sie unter ihren Krähenfüßen, Fettwülsten oder bis zum Bauchnabel erschlafften Brüsten litten, bekamen mit viel Glück eine live übertragene OP gesponsert oder schlimmstenfalls die Schadenfreude des Publikums zu spüren. Die weniger Mutigen riefen mit verstellter Stimme an und erhielten telefonisch die benötigten Informationen.
Melanie hatte sich allerdings gewundert, dass das in Amerika, dem Land der stets mit großem Vorsprung vor den Europäern entdeckten unbegrenzten Möglichkeiten, ein so außergewöhnliches Konzept sein sollte. Im Grunde brauchte sie ja eigentlich nur ihre Unterlagen aus Frankfurt kommen zu lassen, um genügend Material für die nächsten sechs Monate zur Verfügung zu haben.
Erst als sie Teil II gelesen hatte, hatte sie das Außergewöhnliche des Konzepts begriffen. Es lag weniger am Konzept selbst als vielmehr an dem unglaublichen Hintergrund, auf dem es aufbaute.
Wenn Melanie das nämlich alles richtig verstanden hatte, dann diente diese Beautyshow nicht dazu, aus der Form geratenen Pamelas, Lonas oder Melissas zu zeigen, wie sie Falten und Fettzellen eliminieren und erschlaffte Haut straffen, sondern wie sie möglichst schnell genau das Gegenteil erreichen konnten, um damit dem wie eine Flutwelle über New York hereingebrochenen neuen Schönheitsideal zu entsprechen: Üppigkeit und, wie May es in ihrem Konzept nannte, „ Haut mit Charakter “.
Melanie war fassungslos. Speck auf den Hüften, Fettwülste um die Taille, Dehnungsstreifen, erschlaffte und gekräuselte Haut sollten das neue Schönheitsideal darstellen? Dicke waren unästhetisch, hässlich, unappetitlich und abstoßend, genauso wie Falten und schlaffe, herabhängende Haut – diese Erkenntnis hatte Melanie wie jeder andere Mensch doch schon mit der Muttermilch eingesogen! Egal, wen man fragte, jeder sagte das doch schließlich. Außer den Dicken selbst natürlich, die sich in winzige Dessous gequetscht halb nackt und mit dem Satz „ Ich finde mich supersexy! “ einem grölenden Talkshowpublikum präsentierten, aber in der Regel spätestens dann vor ihrem eigenen Anblick zurückschauderten, wenn sie sich nach der Sendung in der Garderobe wieder mit ihrem eigenen Spiegelbild konfrontiert sahen.
Aus Mays Unterlagen ging hervor, dass dieser neue Trend vor einigen Wochen ausgebrochen war und sich seither, wie eine Seuche unaufhaltsam über ganz New York ausbreitete. Good-Morning-YOU! hatte natürlich sofort die Chance auf explodierende Einschaltquoten gewittert und schnell und wie immer unter Einsatz aller erlaubten und unerlaubten Mittel recherchiert, um die Nase am weitesten vorn zu haben.
Die Story, die dabei ans Licht kam, war so unglaublich, dass Melanie zuerst einmal ganz tief Luft holen musste, als sie Konzept und Video bis zum letzten Bandmillimeter in sich aufgenommen hatte.
Kapitel 5
Hans im Glück
Begonnen hatte alles mit dem zwar ziemlich mittelmäßigen, aber wegen seines bis zur Schamlosigkeit gelebten Nonkonformismus umjubelten
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