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Die Trüffelgöttinnen (German Edition)

Die Trüffelgöttinnen (German Edition)

Titel: Die Trüffelgöttinnen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lexa Holland
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Glibberzeug auf dem Gesicht ins Bett legen zu müssen, sodass kein halbwegs normaler Mann mehr Lust hat, dich anzufassen.“
    „ Und sich nicht die Augen reiben und keinen Alkohol trinken zu dürfen, weil davon die Muskeln erschlaffen.“
    „ Und immer ohne Kopfkissen schlafen zu müssen, damit man kein Doppelkinn bekommt!“
    „ Und jeden Morgen lauert das Grauen hinter dir, wenn du in den Spiegel schaust, ob da nicht wieder eine neue Falte ist.“
    „ Und sogar im Dunkeln mit eingezogenem Bauch durch die Gegend zu laufen!“
    „ Was, du auch, May? Ich dachte, nur ich hätte dieses Problem!“
    „ Ich glaube, ich habe schon im Mutterleib krampfhaft die Kiefer zusammengepresst, aus Angst, versehentlich Fruchtwasser zu trinken und ein fettes Baby zu werden.“
    Sie hätten die Liste der Kasteiungen endlos fortsetzen können.
    „ Was glaubst du, wie anstrengend das all die Jahre war, von den leckersten Buffets immer nur das herauspicken zu dürfen, was die wenigsten Kalorien hat, also auch am wenigsten schmeckt.“
    May seufzte, als sie die Köstlichkeiten vor sich sah, an denen sie in den letzten Jahren mit knurrendem Magen und einem Tellerchen vorbeidefiliert war, auf dem gerade mal ein Salatblatt, zwei Radieschen und ein mikroskopisch kleiner Klecks Mager-Frischkäse Platz fanden, während am Nachbartisch gut gelaunte Frauen hemmungslos ein bombastisches Dessert mit Suppenlöffeln in sich hineinschaufelten.
    Melanie und May fühlten sich plötzlich wie Seelengefährtinnen, die einander im gemeinsamen Leid erkannt hatten und so zu einem Wesen verschmolzen. Und wie es oft geschieht, wenn Menschen die Gemeinsamkeiten ihrer Leidensgeschichten entdecken, stieg langsam und unaufhaltsam aus ihren von Kalorientabellen gefolterten Seelen die bittere Erkenntnis auf, was sie sich zeitlebens angetan, was sie sich versagt hatten, worauf sie unter Qualen verzichtet und was sie unter Brechreiz in sich hineingestopft hatten, um kalorienarm satt zu werden: Tonnen von Appetithemmern und sättigenden Quellkapseln, die sich im Magen aufplusterten wie Schaumstoffkissen, pappige Schlankheitsdrinks mit künstlichem Vanille-, Erdbeer- und Schokoladengeschmack in Mengen, mit denen man die Swimmingpools halb Hollywoods hätte füllen können, und völlig geschmacklose Lightprodukte, deren Schlankheitseffekt einzig darin begründet war, dass sie einem schon beim Auspacken den Appetit verdarben.
    Während sie Melanies Aufzählung all der Dinge lauschte, die sie sich seit der Pubertät versagt hatte, nahm May entschlossen einen dick mit Sahne gefüllten Donut von dem neben ihr auf dem Tisch stehenden Teller. Versehentlich biss sie ein zu großes Stück ab, schluckte – und erstarrte: der Pawlowsche Reflex war ausgeblieben! Der Bissen, den sie im Mund hatte, hatte garantiert mehr als fünfzig Kalorien, aber ihr Schluckreflex funktionierte einwandfrei! Sie schluckte, schluckte noch einmal und noch einmal, und wäre fast in Tränen ausgebrochen, weil sie sich fühlte wie ein Fahrschüler, dem nach hundert vergeblichen Versuchen zum ersten Mal die stotterfreie Anfahrt gelungen war
    „ Ich kann schlucken!“ schrie sie vor Begeisterung in den Hörer.
    „ Wie bitte?“ Melanie war irritiert, weil sie gerade erzählt hatte, wie sie ihren Liebhabern sogar konsequent Oralsex verweigerte, aus Angst vor zusätzlichen Proteinkalorien. Auch Thomas‘ vorgebrachtes Argument, Eiweiß sorge dafür, dass Fett schneller abgebaut werde, hatte sie zu seinem Bedauern bisher nicht umstimmen können.
    „ Ich kann wieder schlucken, Melanie!“ May versuchte, sich zu beruhigen. „Ich kann wieder etwas schlucken, das mehr als fünfzig Kalorien hat!“
    Sie erzählte Melanie von ihrer kalorienkonditionierten Schluckhemmung, und nachdem sie alle relevanten Abhandlungen Freuds und Jungs und weiterer psychoanalytischer Größen bemüht hatten, kamen sie letztendlich zu der Überzeugung, dass May soeben ein großer psychologischer Durchbruch gelungen war: Sie hatte sich befreit von den jahrzehntelangen Zwängen des Schlankheitsdiktats.
    „ Ach, May, dahin will ich auch kommen. Ich glaube, ich habe meine Bauchmuskeln schon eingezogen, als ich ein Baby war. Und mein Freund versucht neuerdings ständig, mir ein Facelifting aufzuschwatzen. Weißt du was?“, Melanie holte tief Luft, „Ich habe das alles ganz einfach wirklich bis zum Erbrechen satt. Was Glamour da für uns Frauen getan hat, das ist“, sie suchte nach den richtigen Worten und fuhr dann fast

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