Die Trüffelgöttinnen (German Edition)
sich offenbar vor zwei Stunden bei der Aufzeichnung von „ Sex um Sechs “ unauffällig unter die Zuschauer gemischt und war in einem unbeobachteten Moment fast bis zu Harrys Büro vorgedrungen. Dann war er endlich zwei Sicherheitsleuten aufgefallen, die sich den wild fluchenden und um sich tretenden Mann schnappten und ihn hinauswarfen.
„ Dich krieg’ ich noch, du Seelenverkäufer!“ hatte er dem zufällig vorbeikommenden Harry noch zugeschrien, während er von den beiden Wachmännern weggezerrt wurde.
„ Dieser Irre macht mir Gänsehaut, ehrlich!“ Harry hielt einen Arm vor Gladys’ Nase, die dichten dunklen Haare waren tatsächlich aufgestellt wie das Fell eines gereizten Bären.
„ Irgendwann steht er unversehens hinter mir und erwürgt mich!“ Er schüttelte sich, als spüre er bereits die Hände um seinen Hals.
„ Das wird er nicht schaffen, Schätzchen, weil er sich da zu weit herunterbeugen müsste und außerdem für deinen dicken Hals Hände so groß wie Baggerschaufeln bräuchte.“
Gladys tätschelte ihm freundlich den Arm, Barry und May hielten erschrocken die Luft an. Harry Shinders schlimmste narzisstische Kränkung war seine bescheidene Körpergröße, weil offenbar für die bis zur Normalgröße noch fehlenden 20 Zentimeter nicht mehr genug Wachstumshormone zur Verfügung gestanden hatten. Keiner durfte es wagen, ihn darauf anzusprechen. Aber Gladys durfte offenbar alles, jedenfalls war Harry kein Ärger anzumerken.
„ Und zweitens würden wir doch niemals zulassen, dass dir einer den Spaß mit dem Fass Rothschild verdirbt!“
Sie grinste ihn so breit an, dass er seine Gänsehaut vergaß und erleichtert zurückgrinste. Auf Gladys konnte er sich verlassen, das wusste er.
Harry hatte keine Lust, noch länger über seine Befürchtungen zu reden. Erstens wurden sie dadurch nicht kleiner, sondern würden aufquellen wie ein ins Wasser geworfenes Gummibärchen, und zweitens könnte sonst womöglich noch jemand auf die Idee kommen, ihn für einen Feigling zu halten. Er selbst hielt sich für den mutigsten Menschen unter der Sonne, aber wie bei jedem echten Feigling schlummerte auch bei Harry tief im Dunkel seines unanalysierten Unbewussten die Angst, dass er diese Selbsttäuschung irgendwann erkennen würde. Dieser Teil von ihm beschloss jetzt, das Gespräch von ihm weg und auf ein Thema zu lenken, bei dem er ganz nebenbei den anderen und sich selbst wieder wirkungsvoll demonstrieren konnte, dass er der Boss war.
„ Gibt’s eigentlich Neuigkeiten von Melanie? Hat sie schon unter der Faltenpresse gelegen?“
Er lachte hämisch und ließ in JR-Manier zwei für echte Zähne viel zu ebenmäßige und strahlend weiße Zahnreihen sehen.
„ Sie ist doch gestern erst angekommen, Harry! Ich wollte sie nicht gleich mit Anrufen bombardieren, zumal sie vermutlich erst noch das neue Talkshowkonzept verarbeiten muss.“
Melanie brauchte Zeit, um sich mit der unerwarteten Entwicklung vertraut zu machen. Sie würde sich melden, sobald sie die Unterlagen durchgearbeitet hatte, da war sich May sicher. Außerdem kam sie ja am Mittwoch schon wieder zurück und hatte dann noch ausreichend Zeit, sich auf die Co-Moderation vorzubereiten. Es war natürlich ein Abenteuer, sich auf die Zusammenarbeit mit einer Kollegin einzulassen, die man vorher nicht persönlich kennengelernt hatte. Aber bereits nach wenigen Telefonaten mit Melanie hatte May gewusst, dass sie beide ein hervorragendes Team abgeben würden. Sie hatte mit Melanie nun über zwei Monate intensiven Telefon- und Email-Kontakt gehabt, sodass sie beide auch über die Distanz Gelegenheit gehabt hatten, einen gemeinsamen Moderationsstil zu entwickeln. Im Grunde ging es jetzt nur noch um die praktische Umsetzung. Dass sie nun eine ganz andere als die geplante Home&Garden-Sendung moderieren würden, war aus Mays Sicht kein Problem, da sie alle wichtigen Informationen und Materialien bereits bis ins winzigste Detail ausgewertet hatte und zudem ja letztlich die Studiogäste die Hauptlieferanten des Talkmaterials waren. Ihrer beider Job war im Grunde lediglich eine hervorragende Moderation, und darin war jede von ihnen absolut professionell.
„ Na gut, May, Sie werden schon wissen, was Sie tun. Das hoffe ich jedenfalls für Sie.“
Harry grinste wieder sein JR-Ewing-Grinsen und nahm noch einen Schluck Kaffee.
„ Ich erwarte, dass diese neue Talkshow das Beste wird, das wir jemals produziert haben, sonst kriege ich einen solchen Tobsuchtsanfall, wie
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