Die Trüffelgöttinnen (German Edition)
vertiefte sie sich bis kurz vor Mitternacht in die Unterlagen, die May für sie zusammengestellt hatte.
In die letzten Dämmerbilder vor dem Einschlafen drängten sich das Gesicht Glamours und die Erkenntnis, dass sie ihn morgen persönlich kennenlernen würde.
Wie ein Kind, das die Tage vor dem herbeigesehnten Geburtstag zählt, dachte sie Noch ein Mal ausschlafen! und fiel sofort danach wie Dornröschen in einen tiefen, traumlosen Schlaf, aus dem sie wie Dornröschen erst nach langer, langer Zeit wieder erwachen sollte.
* * *
„ Er kommt, Melanie, er kommt!“
May sprang so hastig von ihrem Stuhl auf, dass er nach hinten umkippte.
„ Oh Gott, viel zu früh!“
Sie schnappte sich ihr Schminktäschchen und verschwand wie ein Blitz in Richtung Waschraum. Melanie und Barry grinsten sich an.
„ Bin gespannt, ob sie so schnell ist wie unser Aufzug! Eins, zwei, drei, vier ...“ Barry zählte im Takt, in dem der Aufzug die Stockwerke nahm. Bei 15 trat ein Vamp mit wirkungsvoll zerzauster Lockenmähne, tiefrot geschminkten, feucht glänzenden Lippen und ausdrucksvoll mit Kajal betonten Augen aus dem Waschraum.
Melanie musste fast zwei Mal hinsehen, aber es war ohne Zweifel ihre Kollegin May, die gerade eben noch mit sorgfältig gekämmten Haaren, einem äußerst dezenten Lippenstift und einem Hauch Wimperntusche vor ihr gesessen hatte.
Im selben Moment, in dem Melanie den Mund öffnete, um einen Kommentar zu der wundersamen Verwandlung abzugeben, öffnete sich die Aufzugstür.
George Glamour hatte seinen Auftritt. Er trug eine hautenge sandfarbene Wildlederhose, die statt mit einem Reißverschluss mit einer raffinierten Schnürung geschlossen wurde, und ein weit fallendes schwarzes Seidenhemd, dessen Knopfleiste geschickt durch einen Stoffstreifen kaschiert war. Den schwarzen Blazer aus Wildseide trug er lässig über die Schulter geworfen, die Haare waren wieder straff nach hinten gekämmt und zum Zopf gebunden. Er sah ganz einfach umwerfend aus, und Melanie konnte nicht anders, sie musste ihn sich nackt vorstellen, ob sie wollte oder nicht.
Glamour kannte diese Reaktion bereits, egal wo er hinkam, bekamen die Frauen verdächtig glänzende Augen, manche erröteten wie Schulmädchen, andere wieder begannen, an ihren Fingernägeln zu knabbern, obwohl sie das zum letzten Mal getan hatten, als ihnen deswegen als Kind zwei Wochen Fernsehverbot angedroht worden waren.
Bei Melanie Vetter war er sich nicht sicher, auch wenn sie ihn anlächelte, als erwarte sie jetzt mindestens eine Einladung zum Essen von ihm, aber die vor Erregung sichtbar bebende May Fisher würde sogar auf die amerikanische Flagge spucken, wenn sie das in sein Bett bringen würde, darauf hätte er sogar seinen gestrigen beträchtlichen Umsatz verwettet.
Er genoss es, wenn Frauen zu willenlosen Instrumenten wurden, die reihenweise zu allem bereit wie Lemminge über die Klippen in sein Bett sprangen, wenn er nur den kleinen Finger bewegte. Bei manchen Frauen bedurfte es zwar zusätzlicher Mittel, um ihre Sprungwilligkeit zu erhöhen, aber dafür hatte er eine ebenso einfache wie geniale Lösung gefunden. Frauen brauchten das Gefühl, von einem so attraktiven Mann nicht nur begehrt zu werden, sondern sie wollten auch absolute Sicherheit über seine Treue. Glamour hatte also nach einer Miene gesucht, die den Frauen den Eindruck vermittelte, dass er selbstverständlich ein absoluter Ehrenmann war, der niemals eine andere Frau anrühren würde, und der darauf ohne mit der Wimper zu zucken sogar einen Eid auf die amerikanische Verfassung schwören konnte. Nach längerem erfolglosen Stöbern in Schauspielen, Sagen und Märchen hatte er die benötigte Miene schließlich ganz unverhofft beim nächtlichen Zappen durch die Nachrichtenkanäle entdeckt: Miene Bill Clinton ergänzte von da an sein Standardrepertoire, und es war immer wieder frappierend für ihn, wie erfolgreich er mit der Kopie dieser ehrenmännisch-unschuldigen Miene war, mit der Bill Clinton ausdauernd über die ungeheuerlichen Vorgänge hinter den Türen des Oval Office hinweggetäuscht hatte.
Auch jetzt hatte George Glamour kurz bevor die Aufzugtür sich öffnete sein siegessicheres Grinsen durch die Miene eines absoluten Ehrenmannes, die Miene Bill Clinton , ersetzt.
Die beiden Moderatorinnen entsprachen durchaus noch seinen Vorstellungen von einer attraktiven Frau, und er fragte sich, ob er die Gelegenheit nicht nutzen sollte, bevor sie sich wie der überwiegende Rest der
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