Die Trüffelgöttinnen (German Edition)
nach oben glitt, konnte sie das ganze Erdgeschoss überblicken und bemerkte einen großen Sonderstand, der von Frauen umringt war wie früher in Deutschland die Wühltische beim Schlussverkauf. George Glamour Fashion! stand in großen goldenen Buchstaben auf dem Transparent über dem Stand, und Melanie sah gerade noch, wie zwei ziemlich dicke Frauen sich um ein rotviolett-gemustertes Kleid stritten, das einem Kleinstadtzirkus mühelos als Winterquartier gedient hätte, und das offensichtlich jede von ihnen angeblich zuerst in der Hand gehabt haben wollte. Direkt daneben befand sich ein Tisch mit einer glänzenden Pyramide aus goldenen Döschen. Melanie erkannte sie von Weitem: Glamours Aging-Crème.
Glamour musste ein Vermögen verdienen mit seiner Mode und der Crème, aber Melanie gönnte es ihm von Herzen. Schließlich hatte er die Frauen aus der Knechtschaft des Schlankheitswahns befreit.
Sie würde sich das Kaufhaus irgendwann später ausführlich ansehen, sie würde ja auch jede Menge neuer Kleider brauchen, aber zuerst einmal musste sie dafür sorgen, dass ihre Mutter wieder ruhig schlafen konnte, denn wenn sie es nicht konnte, konnte Melanie es auch nicht, weil ihre schlaflose Mutter dann in regelmäßigen Abständen bei ihr anrief.
Als sie die Auslagen mit dem Schmuck entdeckt hatte, zog sie den Zettel mit der Nummer, die ihre Mutter ihr gegeben hatte, aus der Tasche und sah sich nach einer freien Verkäuferin um.
„ Was darf ich für Sie tun, Madam?“
Offensichtlich war Melanie schon als Hilfe benötigende Kundin erspäht worden. Die junge Verkäuferin lächelte sie an und zeigte dabei ebenso wie die Frau am Empfang so übernatürlich weiße Zähne, dass Melanie sich fragte, ob sie im Dunkeln leuchteten und ob diese Verschönerungsmaßnahme Bedingung für die Einstellung bei Macy’s war.
„ Meine Mutter hat ein Schmuckstück verloren, das sie vor einiger Zeit bei Ihnen gekauft hatte. Hier“, sie reichte der jungen Frau den Zettel, „habe ich die Nummer, mit der man angeblich das gleiche Stück nachkaufen kann.“
Die Verkäuferin warf nur einen kurzen Blick auf das Papier und ging dann zielstrebig auf eine der großen niedrigen Glasvitrinen zu, in denen auf königsblauem Samt glitzernder Strassschmuck lag. Nach einem erneuten Blick auf den Zettel griff sie in die Vitrine und präsentierte Melanie eine auffällige Kette mit einem großen facettierten Herzen in der Mitte.
„ Die müsste es sein, wenn die Nummer auf dem Zettel stimmt.“
Melanie war begeistert. Sie erkannte die Kette auf Anhieb, sie hatte sie zwar nur ein- oder zwei Mal an ihrer Mutter gesehen, aber das Stück war so außergewöhnlich, dass man es gar nicht verwechseln konnte.
„ Wunderbar! Sie ahnen nicht, wie glücklich meine Mutter sein wird! Ich hätte gerne gleich zwei dieser Ketten. Wäre es möglich, dass Sie sie als Geschenk verpacken und verschicken, wenn ich sie jetzt gleich bezahle?“
Es war besser, wenn das ein professioneller Versand erledigte, als wenn sie selbst sich umständlich nach Versandbedingungen und Zollbestimmungen erkundigte und das Päckchen womöglich nicht rechtzeitig ankäme.
„ Selbstverständlich, Madam! Wo soll der Schmuck denn hingeschickt werden?“
„ Nach Afrika, und zwar unbedingt als Expresslieferung. Ich zahle selbstverständlich alle anfallenden Gebühren.“
„ Wenn Sie mir die Adresse geben, wird das Päckchen noch heute abgeschickt. Sie können sich darauf verlassen, dass Ihre Mutter das Geschenk spätestens übermorgen auspacken kann!“
Die Verkäuferin wirkte so stolz über diese Serviceleistung, als trage sie das Päckchen höchstpersönlich auf einem blauen Samtkissen nach Afrika.
Melanie kramte ihr Notizbuch aus der Tasche, schrieb die Adresse ihrer Mutter vorsichtshalber in säuberlichen Blockbuchstaben auf den Zettel, den die Verkäuferin ihr reichte, bezahlte mit ihrer Kreditkarte und verließ Macy’s schließlich mit dem unglaublich guten Gefühl, das jedes am Brutkomplex leidende Kind wenigstens einmal im Leben gerne hätte: seine Mutter gerettet und dadurch endlich einen Ausgleich für das unermüdliche Füttern, Windeln und die am Krankenbett durchwachten Nächte geschaffen zu haben.
Zu Hause angekommen sprang sie als Erstes unter die Dusche und verspeiste anschließend mit Genuss eine Riesenportion Pasta mit Sahnesoße und Schinken, die früher für mindestens drei Mahlzeiten ausgereicht hätte.
Mit dem Gefühl, in jeder Hinsicht rundum gesättigt zu sein,
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