Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition)
aufgeführt wurde, wäre nie ihre Wahl gefallen, wenn sie sich wirklich gut hätte unterhalten wollen. In der letzten Reihe fanden sie hinter einem Lüster Platz. Bettine machte es nichts aus, sie sog ihren ersten Opernbesuch in vollen Zügen in sich auf. Und auch Luisa störte sich nicht daran, weil sie die ganze Zeit an zu Hause dachte und von dem Stück nichts mitbekam.
Es war nicht weit vom Opernhaus bis zu den Fernheims und Luisa hoffte, dass alles bis auf die Dienerschaft schlief und sie nach dem Opernbesuch niemandem über den Weg lief, dem sie von ihrem Abend erzählen musste.
Auf dem Augustusplatz kaufte sie sich eine Tüte frischer dampfender Quarkkugeln. „Ich habe ein so ungutes Gefühl, Bettine“, murmelte Luisa mit vollem Mund. „Ein ganz und gar ungutes Gefühl.“ Schmatzend schleckte sie alle Finger ab, angelte sogleich das nächste Bällchen aus der Tüte und hielt sie Bettine hin. Doch die lehnte dankend ab.
„Was gab’s bei dir für Neuigkeiten von zu Hause?“ Luisa legte entschuldigend die Hand auf Bettines Unterarm. „Es geht mich gar nichts an.“
„Schon gut, Fräulein Luisa. Also, Mutter schreibt, dass mein Bruder sich beim Holzmachen einen so dicken Schiefer eingejagt hat, dass Doktor Bender kommen musste. Zum Glück hab ich meinen Weihnachtsgroschen daheim gelassen.“ Bettine erzählte nun kleinlich von der Wunde ihres Bruders, aber Luisa hörte gar nicht richtig zu. „Nett, vom Doktor, oder? ... Fräulein?“
„Was ist nett vom Doktor, Bettine?“
„Na, den Weber ins Spital bringen zu lassen.“
„Welchen Weber?“
„Haben Sie mir wohl nicht zugehört? Den Caspar Weber. Dem ging’s richtig, richtig schlecht. Sogar sein sonderbarer Bruder ist angeblich angereist. Die beiden verstehen sich nicht bes...“ Bettine unterbrach sich, weil Luisa im Kauen innehielt und sie entsetzt anstarrte.
Es war Schwerstarbeit, aus Bettine jedes einzelne Wort herauszubekommen, das ihre Mutter ihr geschrieben hatte, bis schließlich, im Fernheim’schen Gästezimmer angekommen, Bettine Luisa den Brief in die Hand drückte. Luisa erfuhr zum Schlafen zu viel, aber zum Wachbleiben zu wenig aus den fehlerhaften Schreibversuchen der Frau. Sie lag wach, glitt allenfalls in unruhigen Dämmerzustand, um mit pochendem Herzen aufzuwachen und sich den Kopf über Caspar zu zermartern. Sie mussten heim, das stand außer Frage.
Dritter Teil
in dem erzählt wird,
wie es die junge Frau bereut,
alle und sich an der Nase
herumgeführt zu haben
Ja, Liebe voller Gnade, die nicht quält,
Einhellige, stets feste, offne Liebe,
Nie Maske, makellos – die nichts verhehlt!
O! Gib dich mir ganz hin – sei ganz, ganz mein! ...
Ich fleh dich an um Gnade, Mitleid, Lieb!
John Keats
Das Dorf, Leipzig
Januar 1831 bis August 1831
„Es ist ein Soldat.“ Ludwig Treuentzien stand am Fenster – die Brille in der einen Hand, die Morgenpost in der anderen – und schaute aus verquollenen Augen, ein Relikt des Silvesterballs.
Luisa war zerschlagen und in sich gekehrt wie jeden Tag, seit sie wieder zu Hause war. Ihr übermäßig unschicklicher Appetit war verschwunden, seit sie sich bei den Webers nach Caspar erkundigt hatte.
Er hatte ja immer rausgewollt aus dem Dorf. Nun hatte er, was er wollte. Ein Besuch im Armenspital war für Luisa ausgeschlossen. Sie hatte so viele Pläne ersonnen, wie sie nach Zittau fahren und sich an Caspars Krankenbett stehlen könnte. Letztendlich blieb ihr nur, ein paar Stärkungen – gutes Essen, guten Wein, warme Decken und Kleidung – einzupacken und Meister Weber die Fahrt nach Zittau zu bezahlen. Das Haarnadel-Etui, das ihr einst Matthias Kollmar aus Russland mitgebracht hatte, war dafür zum Krämer Jacobi gewandert.
Sogar ein paar Bücher hatte sie beigelegt. Die Tatsache, dass sie gar nicht wusste, was Caspar gern las, ob er überhaupt gern las und dass sie ihn kaum kannte, warf sie fast nieder. Aber sie betete stündlich für den, den sie liebte. Wieso hatte sie an ihrer Liebe gezweifelt? Sie schüttelte den Kopf, was keiner der Anwesenden bemerkte, weil alle ihren Vater anstarrten, der immer noch aus dem Fenster linste. Luisa erkannte lediglich den Nackenzopf, den er dem Fenster zugewandt hatte. „Was will ein Soldat bei uns?“
„Herr Weber fürs Fräulein Luisa“, erschien Bettine neben dem Hausherrn in der Tür.
Luisas Vater wirbelte herum.
„Kennst du einen Soldaten mit diesem Namen?“
Luisa schüttelte den Kopf.
„Kennst
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