Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition)
sie zusammenzuckte, kaum merklich nickte und verschwand.
Caspar hörte die Kutsche davonrumpeln. Da stand er nun, die Hände in den Hosentaschen, fünfundzwanzig Taler in Münzen aufgetürmt auf dem Tisch. Den Kopf vornübergebeugt grübelte er darüber nach, wie er die nächsten Tage durchstehen würde. Er wurde krank, das spürte er in seinen Gliedern, in seiner Lunge, in seinem Kopf und in seinem Herzen.
Pauline Fernheim war eine vollendete Gastgeberin. Sie führte den Gedankenaustausch nach allen Regeln des Konversationslexikons, und wenn sie bemerkt haben sollte, dass Luisa die ganze Zeit mit ihren Gedanken woanders war, dann ließ sie sich nichts anmerken.
Natürlich wurde sogleich nach Luisas Ankunft das Tuch gemustert. Wie erwartet wurde Caspars Arbeit in höchstem Maße bewundert und jedem vorgezeigt, der sie sehen wollte, außer Pauline Fernheims Gemahl, denn der sollte das Tuch erst Heiligabend zu Gesicht bekommen. Dem Festakte beizuwohnen, war eine Einladung, die Luisa unter normalen Umständen ausgeschlagen hätte. In Anbetracht der jüngsten Ereignisse aber war sie nun geneigt, sie anzunehmen. Sie bat sich Bedenkzeit aus.
An den folgenden Tagen entrollte man vor ihr den Prachtteppich städtisch-bürgerlicher Verschwendungssucht: Sie wurde von Pauline Fernheim und ihrem Gatten ins Varieté, in Galerien und zu Vorlesungen über Botanik, der Pauline Fernheim erlegen war, ausgeführt. Bei Sonnenschein machten sie mit offenem Verdeck Ausfahrten in die städtischen Gärten. Es zeigte sich, dass Luisa weit abgehärteter war als die zarte Pauline, die schon nach einer Viertelstunde und trotz eines Pelzmantels entsetzlich fror. Überall roch es nach Neuschnee und Kohlefeuern, nach kandierten Äpfeln und gebrannten Mandeln. Weihnachten nahm hier verschwenderische Züge an. Die Leute zelebrierten das Fest schon Wochen bevor es so weit war. Gegen die knackende Kälte half heißer Wein, der Luisa zu Kopfe stieg und sie wohlig von dem erlöste, was ihr auf der Seele lag: Caspar. Zuweilen fand sie sogar ihr Lachen zurück.
Zu den Mahlzeiten gaben sich Verwandte der Fernheims die Ehre. Auf dem Essen lag Luisas Hauptaugenmerk. Sie stopfte alles in sich hinein, aß, weil sie Kummer hatte. In Fernheims Salon roch es ungelüftet und nach Mottenkugeln, was der dünne, aus importierten Krümeln gebraute Tee auch nicht übertünchen konnte. Caspar kochte nie Tee aus Krümeln! Wieder Caspar!
Luisa zwang sich zurück in die Gegenwart, obwohl sich ihr die Vergangenheit stets und ständig aufdrängte. Das peinliche Streitgespräch vom Sommer steckte Luisa noch wie ein Kloß im Hals, aber Magnus Fernheim schien es inzwischen vergessen zu haben. Diesmal musste Luisa nicht wie eine unbedarfte Bittstellerin für ihre Arbeit werben. Das erledigte Pauline Fernheim auf subtile Art und Weise. Anders als im Sommer wurde sie mit aufgeschlossenem Interesse belohnt und nach dem Essen umringt von Damen, die Sehnsüchte und Wünsche aussprachen. Gefühle, die, so hoffte Luisa, dereinst zu handfesten Aufträgen anwachsen würden.
All diese Vergnüglichkeiten konnten Luisa nicht von dem Gedanken an Caspar Weber abbringen. Schließlich, pünktlich zum dreiundzwanzigsten Dezember, lief sie dem Weihnachtsgeist auf. Weinselig sinnierte sie in Briefen an sich selbst, Tagebucheinträgen ähnlich, über ihre kurze Liebelei zu einem Mann von minderem Stand. Die Zeit mit Caspar kam ihr vor wie ein Wimpernschlag an einem stürmischen Tag, der ihr in den Augen brannte. Wenigstens hatte die Zeit ergeben, dass sie nicht von ihm schwanger geworden war. Gott sei Dank! Er hatte aufgepasst, nicht sie. Sie war blind vor Verlangen und Liebe gewesen. Dummes Mädchen! Ein Abenteuer, eine Erfahrung, derer sie sich jedoch weder schämte noch die sie missen wollte.
Am vierundzwanzigsten Dezember besuchten Luisa und Bettine die Christvesper in der Leipziger Peterskirche. Mit der Morgenpost waren Briefe für sie und Bettine von zu Hause eingetroffen. Luisa hätte schwören können, dass Tränen auf dem Papier getrocknet waren, aber vielleicht hatte sie sich das in Anbetracht ihrer eigenen Traurigkeit nur eingebildet. Die Mutter beschrieb jene Banalitäten, die sich in nichts von Weihnachtsfesten vergangener Jahre unterschieden, und dennoch war Luisas Heimweh nicht gestillt. Pauline Fernheim vermochte Luisa nicht zu überreden, den Abend bei ihr zu verbringen. Stattdessen besuchte Luisa die Oper.
Auf ein bemühtes Werk wie das, was an diesem Abend
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