Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition)
gut?“
Sie erzählte von ihrer Reise und von Paul Keubler, der einen weiteren Auftrag mitgeschickt hatte. Luisas Worte überschlugen sich in seinem Gehörgang. Er konnte ihr kaum folgen. Ihm war übel von den Öl-Quark-Packungen, mit denen ihn seine Mutter traktierte und die ihn wie ein Oberlausitzer Mittagessen riechen ließen.
Er schloss die Augen. Sie schwieg. Nach einer Weile spürte er ihre Hand an seinem Gesicht und dann das entsetzlich nass-kalte Tuch auf seiner Stirn, das er nicht ertrug. Von der Fahrt durch die Kälte hatte er wieder etwas Fieber bekommen, das eigentlich schon abgeklungen war. Er lächelte, weil er an die Stadt denken musste, die er sich durch die Fenster der sündhaft teuren Lohnkutsche angeschaut hatte. So hohe Steinhäuser! Wie das Steinhaus und die Kirche im Dorf. Und so viele neue Gesichter! „Vater hat mit Liebig sprechen wollen.“
„Du sollst nicht über die Arbeit reden, Caspar. Dafür ist später noch Zeit.“ Ihre Hand war nicht mehr an seinem Gesicht. Und ihre Stimme wieder weiter weg. Aber er wollte, dass sie bei ihm war. Ganz nah.
„Mätzig sei jetzt zuständig für uns, hat der Liebig gesagt. Das versteh ich nicht.“
„Ich klär das, Caspar. Das ist sicherlich nur ein Miss...“
„Und das Leinen! Lass dir von Balthasar das Leinen zeigen, das sie zum Arbeiten gekriegt haben. Es geht überhaupt nicht.“
„Das liegt an der Konjunktur. Jetzt schlaf ein bisschen.“
Caspar wollte nicht mehr schlafen. „Balthasar war bei Mätzig in der Fabrik und hat sich seinen Arbeitsplatz angesehen.“
„Balthasar arbeitet bei Mätzig & Söhne?“
Er schüttelte den Kopf. „Noch nicht. Aber es fehlt nicht mehr viel.“ Er hatte das Gefühl, die letzten Lebensjahre verschlafen zu haben. Er hatte kein Zeitgefühl mehr. „Was ist heute? Montag? Wie viel hat Vater abgegeben? Weißt du was darüber?
Luisa lächelte ihn milde an. „Es ist alles gut, Caspar. Die Welt dreht sich weiter.“
„Auch ohne mich, wie?“
Sie schüttelte den Kopf. „Das hab ich nicht gemeint.“ Ihre Welt würde stehen bleiben ohne ihn, aber das sagte sie nicht. „Du musst nicht alles erledigen, Caspar, lass den anderen auch etwas Arbeit.“ Caspar dachte eine Weile darüber nach, beobachtete sie, wie sie kerzengerade auf dem Stuhl saß und wie hübsch sie aussah! Etwas schmal war sie geworden, aber nicht zu dünn. Er kämpfte gegen die Müdigkeit, doch schließlich schlief er ein.
Er träumte von Balthasar, der im Websaal vom Mätzig saß. Seine Füße waren an den Webstuhl gekettet. Caspar sah an sich herunter, auch seine Knöchel waren an den Fußpedalen festgemacht. Hermann Tkadlec war Herr über die Schlüssel, sie klimperten an seinem Hosengurt. Caspar webte, webte Totenleinen. Das Knallen der Lade übertönte das Klimpern der Schlüssel, Herrmann Tkadlec stellte sich neben ihn an die Webbank und im nächsten Moment war der Zampelstuhl verschwunden, war die Webbank verschwunden, keine Fußpedalen mehr, keine Fußfesseln, keine Lade mehr. Statt ihrer schnellte der Webschütze von allein, wie von Teufelshand, zwischen den Kettfäden hin und her. Caspar wollte weg von dem Ungetüm an Musterwebmaschine, aber Herrmann drückte ihn dicht an das tosende Gerät und kettete seine Hände an das Metallgehäuse der Maschine. Caspar wechselte Schussspule um Schussspule.
„Musterwebmaschinen!“ Er war wach; es war dunkel im Raum. Kein Sonnenlicht, nur das Flackern der Ölfunzel.
„Musterwebmaschinen?“ Luisa saß noch immer auf dem Stuhl. Genau wie am Nachmittag. Sie war keinen Zoll von seiner Seite gewichen. „Was redest du von Musterwebmaschinen?“
„Ich hab von Musterwebmaschinen geträumt. So riesige Dampfdinger: laut und schwarz.“ Er rieb sich die Augen, die brannten und juckten.
„Nur ein Traum.“ Sie beugte sich nach vorn. Ihre Hand an seiner Wange machte ihn ganz weich. Wie sehr er sie vermisst hatte! Aber als bereue sie ihre Berührung, zog sie ihre Hand weg und lehnte sich wieder zurück.
„Ich hab geträumt, dass ich an so einer Maschine stehe und der Schussschütze knallt von rechts nach links – zack, zack, zack – und ich kann die Spule nicht schnell genug auffüllen und komm nicht hinterher und diese Maschine ist so laut. – Ich hab Kopfschmerzen.“ Er fasste sich an die Schläfen, die entsetzlich pochten.
Sie langte wieder nach dem Tuch in der Schüssel auf dem Nachttisch, aber er wehrte es ab. Er mochte das Tuch nicht, aber den Becher, den sie ihm reichte, leerte er
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