Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition)
ließ sich keine Regung anmerken, sondern berichtete sachlich, als sei er ihr Rechenschaft schuldig: „Eine Handvoll junger Leute verlangte während eines Konzertes der Militärkapelle, dass die Marseillaise gespielt werden sollte, was natürlich nicht geduldet wird. Zunächst versuchten wir, die Menge mit Worten zur Vernunft zu bringen. Wir wurden mit Steinen beworfen.“
„Dann schossen Sie auf sie.“
„Nicht ich.“
„Aber Sie gaben den Befehl dazu.“
Wieder schwieg man einander an. Und dann geschah etwas, das Luisa nicht für möglich gehalten hatte: Clemens Weber nahm den Helm unter dem rechten Arm hervor, setzte ihn auf und nickte. „Weil ich den Befehl dazu bekam. Fräulein Treuentzien, Ihre parteiische Meinung in Ehren, aber ich habe meinem König, unserem König, einen Eid geschwor...“
„Und sind Ihrem Vater nichts schuldig.“
„Ähm ... Luisa, das geht zu weit. Du darfst Herrn Weber nicht diffamieren!“
„Darf ich nicht?“ Sie entließ Clemens Webers dunkelblaue Augen, Caspars Augen, nicht aus ihrem forschenden Blick. „Es waren Leute wie sein Vater, die geschunden, eingesperrt und sogar getötet worden sind. Ihr Bruder, Herr Weber, war dabei, als man ...“ Sie verbat sich für Caspar zu sprechen, als sei er den Märtyrertod gestorben. Das war er ja nicht. Er lebte. Noch lebte er.
„Nicht doch, Luisa, davon verstehst du nichts!“ Und zu Clemens Weber gewandt seufzte ihr Vater: „Herr im Himmel, was gäbe ich für nur einen Sohn!“ Er erntete Luisas missbilligenden Blick. „Aber mit meinen fünf Töchtern bin ich auch froh.“ Er legte seinen Arm um Luisas Schulter, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. „Zumindest ist Ihr Vater glücklich, dass Sie heil aus den Unruhen rausgekommen sind, nicht wahr?“
Clemens Webers Unterlider zuckten wie Caspars, wenn er auf der Hut war.
„Nun“, sagte ihr Vater weiter, „ich bin froh, dass Prinz Johann die Kommunalgarde gründet, dann könnten Sie vermutlich wirklich wieder ein Stückchen näher an die Heimat rücken. Dresden ist so weit weg! Wann wird man Sie vereidigen?“
„Mitte Februar werden die Ehrengerichte tagen, dann sehen wir weiter.“
„Na schön, eine Armee wird gebraucht, Soldaten wie Sie werden gebraucht, da werden Sie schon nicht am Hungertuch nagen.“
Clemens Weber lachte lautlos auf. Caspars Lachen – und Luisa ging es schlecht damit. „Wahrlich nicht“, sagte der Soldat.
„Sie sind doch nicht gekommen, um mit meinem Vater über Politik zu sprechen, nicht wahr?“
Clemens, die Gesichtszüge zur politisch korrekten Antwort gewappnet, die Hände hinterm Rücken verschränkt, blinzelte Luisa verschmitzt an und verneigte sich ergeben: „Ja, Fräulein Treuentzien, verzeihen Sie mir. Ich komme als Bote sozusagen.“
„Bitte?“ Ihr Vater war ganz perplex und verhehlte seine Neugier auch dann nicht, als sie von Clemens Weber einen Brief entgegennahm. Ein zusammengefaltetes Papier ohne Wachssiegel. Ein privates Schreiben. Von wem? Ein hintergründiges Lächeln von Clemens Weber begleitete den Brief, während der in ihre Hand wanderte. Floskeln wurden getauscht, was Luisa ungemein ärgerte, denn sie wollte in ihre Kammer verschwinden und lesen. Vielleicht war er von Caspar? Oh, das wäre zu schön. Sie mussten sich aussöhnen. Endlich wieder vertragen!
Die Ernüchterung kam prompt, sobald sie oben auf ihrem Bette saß und den Bogen entblätterte. In dem Schreiben gab Meister Weber sein Einverständnis, den nächsten Auftrag des Paul Keubler anzufertigen. Es handelte sich um ein Doppelportrait zweier Fernheim-Sprösslinge. Das interessierte sie im Moment nicht, nur Caspar interessierte sie? Kein Wort über ihn!
„Lass uns einen Moment allein, Mama.“ Caspar saß in seinem Bett, die Decken hatte seine Mutter in Anbetracht des Besuches bis unter sein Kinn gezogen.
„Das ist nicht anständig“, murmelte Maria Weber im Hinausgehen. Der Saum ihres breiten Rockes war auf den Dielen zu hören.
Caspar rieb sich die Augen und grübelte angestrengt darüber nach, was er sagen sollte. Er war verwirrt. Das hasste er. Er fand keine Worte und konnte sowieso nicht sprechen, weil seine Kehle ein einziger schmerzender, geschwollener Knorpel und sein Hals voller Schleim war. „Du solltest nicht hier sein.“ Er schloss die Augen, versuchte sich auf etwas anderes als seinen rasselnden Brustkorb und Luisas sorgenvollen Blick zu konzentrieren. „Bist du gut angekommen in Leipzig? Und das Tuch? Alles
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