Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition)
Menschen, vor allem die Industriellen und Machthaber, beunruhigte. Außerdem rückte dem handgezogenen Damast ein gewisser Joseph Maria Jacquard dicht auf die Pelle. Keine Zeitung ohne Zeichnungen von Musterwebmaschinen.
Familie Treuentzien nahm ein üppiges Mittagessen im Kreise der Familie ein, als die Eildepesche eintraf und die Verleger im entlegenen Zipfel des Zittauer Gebirges über die Revolten in den Städten benachrichtigte. Luisa und ihr Vater vereinbarten, die Mutter und die Schwestern mit solcherlei Neuigkeiten nicht zu behelligen. Man wollte sehen, ob sich die Unruhen bis August, wenn es zur Messe gehen sollte, nicht von selbst aus der Welt schafften.
Eine andere Sache aber sollte Luisa mehr beunruhigen.
„Verzeihen Sie ...“ Caspar zögerte. Er wollte eigentlich lieber wieder umkehren. Es war nicht gerecht, was sein Vater von ihm verlangte. Caspar wusste gar nicht, wie er das anstellen sollte. „Kläre die Sache. Auf dich hört sie vielleicht“, hatte Vater gesagt. „Rede mit ihr. Wir können ihre Großzügigkeit nicht ausnutzen.“ Wirklich toll! Er schritt auf die Bank auf der Südseite der Kirche zu. Dabei wollte er eigentlich lieber wieder weg. Ihr Anblick war lieblich. Er wollte sie nicht stören, nur betrachten.
„Verzeihen Sie?“
„Was gibt es denn?“ Jetzt schaute sie auf, hob die Hand über ihre Augen gegen die im Osten hängende Vormittagssonne. Ihre hellen, hellen Augen, grau wie das Wasser der Mandau, an ihnen wollte Caspar sich satt trinken.
Aber eigentlich doch nicht ... „Es ist nichts. Verzeihen Sie. Geruhsamen Sonntag wünsch ich.“ Er wandte sich zum Gehen. Du Trottel!
„Sie wollen sich mit mir blicken lassen, wie?“
Caspar drehte sich um. Und dann geschah etwas, was Caspar mit seinen vierundzwanzig Jahren nicht mehr für möglich gehalten hatte: Luisa Treuentziens Mundwinkel hoben sich. Sie lächelte. Sie lächelte aufrichtig und so lange, dass sein Herz mit Schlagen aussetzte. Ihr Lächeln verzauberte ihn. Sie war jetzt eine ganz andere. Sie bekam kleine Grübchen in den Wangen, wenn sie lächelte. Das haute ihn glatt um und er nahm sich vor, Luisa Treuentzien zum Lachen zu bringen. Wenn schon ihr Lächeln umwerfend war, wie würde dann ihr Lachen aussehen?
Er beobachtete, wie sie das Leinenbändchen zwischen die Seiten ihres Buches klemmte. „Wenn die Meinung verbreitet wird, dass die meisten Weber einsilbige Männer sind, so sind Sie wohl ein keinsilbiger Mann.“
Sollte er das als Beleidigung verstehen? Er begann darüber nachzudenken, kam aber nicht zur Lösung, denn jetzt wurde er von ihr aufgefordert, sich neben sie zu setzen. Langsam, sehr langsam folgte er ihrer Einladung. Er beugte sich vor, stützte seine Ellbogen auf die Knie. Am Südhang des Kirchhügels erkannte er die Liebigs, die auf dem Heimweg nach der Niederen Mühlwiese waren. Luisa neben ihm regte sich, klappte das Buch wieder auf, aber bevor er sie auch nur ein Wort lesen ließ, sagte er: „Es geht nicht, dass Sie Sophie Bücher schenken und Schulgeld. Und so.“
„Zu spät. Sie geht doch schon in die Schule. Ihre Mutter hat die Bücher und das Schulgeld längst angenommen. Ich betrachte die Angelegenheit als geklärt.“
„Mein Vater aber nicht. Er hat kein gutes Gefühl bei der Sache.“ Die Liebigs waren nicht mehr da. Jetzt schlurfte die Familie Krumbholz durch sein Blickfeld. Niemand blickte zum Kirchhügel hinauf, sie alle waren in Gedanken schon bei ihrem Sonntagsbraten. „Außerdem findet der Türpe unseren plötzlichen Reichtum so bedenklich, dass er wieder unnötig viel Zeit bei uns verbringt.“
„Ach, wirklich? Ich habe sein Wort, dass er nicht wieder bei Ihnen zu Hause herumschnüffelt.“
„Dem trau ich so weit, wie ich ihn werfen kann.“
Lächeln, Grübchen, leuchtende Edelsteine, alles zu kostspielig für einen wie ihn. Ihr Lächeln ließ ihn schmelzen. „Die Schulsachen, Fräulein Treuentzien, holen Sie die wieder ab, dann mach ich Ihr Tuch und dann sind wir quitt.“ Sie schwieg eine ganze Weile und hielt ihr hübsches Näschen in die Juliluft, die sich auf ihr Gesicht legte, sodass sie ganz madonnenhaft aussah. Ihr Hut war aus Stroh, heute kaum Federn und Kram. Die Krempe ihres Hutes hatte nicht vermocht, die Porzellanhaut ihrer Wangen zu schützen, sie waren ein wenig gerötet. „Sagen Sie was!“
Porzellanpüppchen rührte sich, packte das Buch, in dem sie gelesen hatte, in ihren Beutel und Caspar hörte, dass sie langsam aus- und einatmete.
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