Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition)
Lätzezug und Zampelstock herabbaumelten. Und obwohl es ihnen bisher gelungen war, die Neugierigen an ihrer Türe abzuwimmeln, ihren Fragen auszuweichen, war es nur eine Frage der Zeit – so sicher wie das Amen in der Kirche –, wann man hinter Meister Webers Geheimnis kam. Spätestens, wenn auf seinem Webstuhl das Gesicht des Fräulein Treuentzien entstehen würde, war es um die Geheimnistuerei geschehen.
Er würde verschweigen können, von wem er Aufträge annahm, nicht aber, dass er Aufträge von jemand anderem als von Liebig ausführte. Das war ein Lebensumstand, der ihm nicht gefiel. Er war seit drei Jahren nicht mehr Mittelpunkt jedweder Gespräche gewesen und darum war es ihm nicht schade, damals hatte er gelitten, als alle Welt nur über ihn herzog. Jetzt wie damals musste er seinem Vater vertrauen. Er musste daran glauben, dass sein Vater bald wieder in den Zampelstuhl zurückkehren durfte, etwas anderes als diese Hoffnung hatte Caspar nicht.
Erst jetzt, nach so vielen Gedanken, wandte sie ihren Kopf und sah ihn aus ihren eisgrauen Augen erwartungsvoll an. Er aber war nicht imstande, sie auch nur zu begrüßen. Ein paar Herzschläge lang verharrten beide stumm starrend. Teils neugierig, teils zweifelnd sah sie ihn an. So helle, helle Augen, weit wie der Himmel, neugierig und wachsam. Sie stieß sich von den sandsteinernen Zierzinnen ab und verließ die Terrasse. Ihr Augenblick, der längst vorüber war, hielt ihn gefangen.
Doch kaum war er wieder unten im Hof angelangt, fing ihn Herrmann Tkadlec ab: „Neuigkeiten, mein Lieber.“ Er packte Caspar am Arm und führte ihn ein Stück von den Menschenmassen fort. Hier schaute er sich um, ob sie auch nicht belauscht würden. Ohne Umschweife packte Herrmann aus: „Der Türpe geht auf Brautschau.“
Caspar zuckte mit den Achseln: „Der Türpe ist verheiratet. Was er sonst für Schweinereien anstellt, geht mich nichts an.“ Er sah Luisa in einiger Entfernung zu Christiana Haller treten.
Herrmann schüttelte den Kopf. „Der Türpe geht für dich auf Brautschau, Caspar!“
Das war ja abzusehen gewesen und überraschte Caspar nur wenig. Ohnehin würde er sich vom Türpe nichts sagen lassen.
„Ich weiß auch, wen er für dich auserkoren hat!“ Herrmann Tkadlec badete einen Moment in Caspars Ahnungslosigkeit, aber Caspar kam ihm zuvor: „Mit Emilie läuft nichts mehr.“
Doch Herrmann winkte ab. „Nicht Emilie, Türpe sieht die Witwe Wanger für dich vor, damit du endlich dein Meisterstück anmelden kannst.“
Einen Moment standen sich beide schweigend gegenüber. Caspar selbst war überrascht, wie ungerührt er blieb.
„Hast du nicht gehört? Der Türpe will dich mit der Wanger verheiraten.“
„Ich hab dich sehr gut verstanden, Herrmann“, Caspars Stimme war schneidender, sein Tonfall gröber, als er beabsichtigt hatte. „Und?“
Herrmann glotzte den anderen einfältig an. „Was und!?“
Caspar tippte mit dem Zeigefinger an Hermanns Stirn: „Du glaubst doch nicht etwa, dass ich die Wangern heiraten werde. Hast du ’n Webfehler, sag mal?“
Caspar hatte es seinem Freund gegenüber nicht zugeben wollen, aber ein bisschen Sorge hatte er schon, dass Heinz Türpe sich vor dem Innungsvorstand durchsetzen und ihn die alte Witwe heiraten lassen würde. Immerhin besagte das Zunftgesetz, dass der nächste Meisteramtsanwärter diejenige heiraten würde, deren Familie im Notstand lebte. Ganz einfach. Zunftgesetz.
Die Sache verhagelte ihm die Stimmung. Er blieb nicht länger auf dem Fest.
Der Türpe jedenfalls sprach nicht bei seinem Vater vor und Caspar hoffte, dass man das Ganze auf sich beruhen lassen würde. Vorerst kam das Thema nicht mehr auf den Tisch und schon zwei Wochen später wurden sie mit dem Einlesen von Luisa Treuentziens Portrait fertig, so dass Caspar und sein Vater mit dem Weben beginnen konnten.
„So blau ist der Mai, der Mai, der Ma-hai ...“, sang Christiana und arrangierte Frühblüher in einer Porzellanvase. Das sah sehr schön aus. Alles sah sehr schön aus im Salon der Christiana Haller und auch das Wetter war sehr schön, aber Luisas Laune war alles andere. „Nun sei doch nicht so sauertöpfisch, Luisa. Was gehen dich die Eisengießer und Nagelschmiede an?“
Die Unruhen im Königreich gingen Luisa nichts an. Vielleicht hatte Christiana recht. Während Luisa las, kümmerte sich Christiana um das Bukett aus Pfingstrose, Herzblume und Tränendem Herz. Luisa konnte sich nicht so richtig aufs Lesen konzentrieren.
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