Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition)
und zermarterte sich den Kopf. „Wenn die Herren mich entschuldigen würden, diesmal bin ich diejenige, die Bedenkzeit braucht. Die Portraitzeichnung lasse ich Ihnen vorerst da? Ich werde die Rechtsbücher durchgehen, vielleicht ...“ Sie brach mit einem resignierten Seufzen ab. Das Zunftgesetz der Weber wog mehr als alle Juristerei des Zittauer Rats. „Vielleicht ...“
„Vielleicht“, wurde sie vom Meister unterbrochen. „sollte mein Sohn wirklich mit diesem Portrait das Meisterstück anmelden und ans Heiraten denken.“
Denken! Denken! Denke nach! Sie las in den Rechtsbüchern. Sie las viel. In jeder freien Minute las sie. Ihr Kopf dröhnte. Das alles erinnerte sie an die Zeit auf der Expedientenschule, als sie sich auf die Abschlussprüfungen vorbereitet und unter dem Druck gestanden hatte, die Beste sein zu müssen. Sie war eine Frau. Sie hatte immer besser sein müssen als die Herren, um in ihrem Beruf bestehen zu können. Doch dieses Mal war es etwas anderes. Dieses Mal hing ihre Seelenruhe von ihrem Lesefleiß ab.
Sie las eine Reihe von Aufsätzen über „die gerechte Ehre innerhalb der Zunft“ und über „das Streben der Reinhaltung des Handwerks durch sittsames Verhalten“.
Ein hässlich grauer Herbst hatte die Mandau in einen reißenden Strom verwandelt. Dauerregen klopfte gegen die schwarzen Vierecke der Bürofenster. Und während die Wildgänse gen Süden aufbrachen, war Luisa bei der „Ausführung eines sittentreuen Handwerks“ angelangt. Die Webpause machte das Kontor zu einem ruhigen, ja langweiligen Ort. Zeit für Inventur, Generalreinigung und all das, was Luisa nicht leiden konnte. Und während Bettine dazu verdonnert war, die Akten abzustauben, las Luisa vom „direkten Gebot eines junggeselligen Meisteranwärters, eine Meisterwitwe oder -tochter zu ehelichen“. Türpe hatte recht, das war eine Grundfeste der Zunftordnung.
Die Inventurwoche war vorüber, da grub sich Luisa durch die „Gewissenhaftigkeit eines jeden Meisteranwärters“.
Matthias Kollmar kam von seiner Expedition heim. Mit Pauken und Trompeten.
Luisa nahm ihn wie durch einen Nebel wahr, war mit den Gedanken nur bei Caspar und ging das, was sie gelesen hatte, sogar dann in Gedanken durch, wenn sie mit Matthias Kollmar beim Tee saß oder mit ihm spazieren ging. Ihre Gespräche waren so einsilbig und still, wie es im Weberviertel war. Kein bisschen „De-tschicke, de-tschacke“ und Luisa war ganz schwermütig.
Dass Caspar heimlich arbeitete, konnte Luisa freilich nicht wissen. Er hatte die Musterzeichnung für das Schmucktuch des Paul Keubler fertiggestellt und war gemeinsam mit Balthasar dabei, es in die Schnurbündel einzuarbeiten.
Zu dem Zeitpunkt, als Matthias Luisa und deren Mutter, als Anstandsdame sicherlich, in die Oper nach Dresden einlud, war Luisa bei der „Auflage der Gesellen“ angelangt.
Mozart. „Figaros Hochzeit“.
Wollte Matthias sich und Luisa auf das Ereignis einstimmen oder was? Luisa war alles andere als in Galastimmung, während ihre Mutter die Abwechslung von der dörfischen Eintönigkeit nutzte, um sich in Schale zu werfen. Und als sie von der Kutsche Richtung Heimat durchgeschüttelt wurden, war Luisa froh, dass sie mit Matthias in der Oper gewesen war, denn sie hatte die Lösung gefunden. Es war eine Randnotiz in „Von der Zunft als Versorgungsanstalt“. Und die Gräfin Almaviva in „Figaros Hochzeit“ hatte sie darauf gebracht. Es ging um Anstand, nicht um Zunft und Zucht. Das konnte sie jetzt belegen. Caspar brauchte die Witwe nicht zu heiraten. Es sei denn, er wollte das, doch er wollte es ja nicht.
Kaum waren sie zu Hause angekommen, machte sich Luisa auf den Weg nach Auf dem Sande, um Fleck abzuholen, den sie dort übers Wochenende in Pflege gegeben hatte.
„Fräulein Treuentzien, welch schöne Überraschung, Sie mal wieder zu sehen“, zwitscherte Maria Weber und ließ Luisa ein. „Meine Güte, sehen Sie schick aus.“ Das war Luisa unangenehm. Sie hätte sich umziehen sollen. „Sieht sie nicht wunderhübsch aus, Cas...“
„... sechsunddreißig runter ...!“, wurde Maria Weber von Caspars scharfer Stimme unterbrochen. Er grüßte nicht, schaute nicht auf. Und dabei sah Luisa wirklich wunderhübsch aus, ganz in Safrangelb vom Hut bis zur Henkeltasche. Aber Caspar kauerte auf dem Boden, eine Leseschiene in der Hand, das Gesicht auf die Quadratur eines mit braunen und grünen Sprenkeln versehenen Papierstreifens geheftet, und gab Balthasar auf dem
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