Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition)
empor, wirbelte herum und schaute Caspar, der wie aus dem Nichts im Türrahmen erschienen war, geradewegs in die Augen. Ihr Herz tat so weh, als habe sie sich unendlich erschrocken. Maria Weber drückte sich zuerst an ihr, die wie gefesselt dastand, dann an Caspar im Türrahmen vorbei und verließ die Stube.
Kein Gedanke war in Luisa. Seine waidblauen Augen, die sie durchbohrten und hundert Fragen fragten. Die Tür war kaum in den Rahmen geschwungen, da setzten sich beide in Bewegung. Es war unwirklich, von Caspar in den Arm genommen zu werden, weil sie seit Monaten von nichts anderem geträumt hatte und nun nicht glauben konnte, dass es geschah. Sein Mund ruhte an ihrem Hals, der ihre an seinem Kragen, der ihre Tränen aufsog. Er hielt sie fest umschlungen, so fest, dass sie keine Luft bekam. Sie umkrallte seine Schultern, vergrub ihre Hände in seinem Nacken und seinem Haar. „Du hättest niemals wegfahren dürfen“, hörte sie ihn murmeln, wobei seine Lippen ihren Hals kitzelten.
Sie nickte und konnte sich einfach nicht von ihm trennen. „Ich musste wegfahren. Aber du hättest nicht mitmachen dürfen!“ Er löste sich von ihr, setzte sich auf den nächstbesten Stuhl und blickte seine leeren Hände an, als suchte er dort nach den Worten, die erklären konnten, was ihn getrieben hatte. „Ich weiß, warum du es gemacht hast, aber es war nicht richtig. Du hattest Glück.“
Er nickte.
„Was war hier los?“
Er schüttelte den Kopf und schaute sie an, flehend, nicht weiter zu fragen.
Sie akzeptierte seine Bitte und wurde sich klar darüber, wie sehr sie ihn vermisst hatte: sein unordentliches Haar, seine lieblos zusammengewürfelte Garderobe, sein ehrliches Gesicht, sein verzauberndes Lächeln ...
Ein Poltern riss beide aus ihren Gedanken, aus ihrer Zweisamkeit. Friedrich Weber erschien in der Stube. Sein Blick hellte sich auf, als er sie sah. Höflichkeiten wurden getauscht, obwohl Luisa mit Caspar lieber allein gewesen wäre. Es war so schwer, zum Geschäft zurückzufinden.
„Ich muss etwas mit Ihnen besprechen.“
Ein kurzer prüfender Blick auf die Lederrolle am Tischbein, ein fragender Blick, der zwischen Vater und Sohn gewechselt wurde. Die Zeit der Vertraulichkeiten war vorüber, das wusste Luisa, jetzt war sie wieder die Exporteurin und die anderen waren die Weber. Die Gemeinsamkeiten beliefen sich auf das Geschäft und sonst nichts. Sonst nichts.
Luisa legte ihren Mantel und die Handschuhe auf die Kommode im Altenteil zwischen Tür und Fenster. Ihr Gesicht glühte, weil Caspar jede ihrer Handbewegungen beobachtete. Sie beobachtete.
„Wie hat deinem Vater das Tuch gefallen?“
Ihr Atem stockte. Rede, lüge, sag irgendwas. Sie konnte ihn nicht ansehen. Sie hatte es satt. „Gut, danke.“
„Sicher?“
Ein kurzer Blick in seine Augen. Die waren zu Schlitzen verengt, auf der Hut vor ihr, die er eben noch im Arm gehalten hatte.
Sie lenkte ab, indem sie Meister Weber die Lederrolle reichte.
„Caspar, hilf mir, Platz zu schaffen!“ Seinem Vater sei Dank bohrte er nicht weiter nach. Während Meister Weber den kleinen runden Tisch abräumte, ließ Caspar sie nicht aus den Augen. Er wusste Bescheid, oder? Sollte sie ihm die Wahrheit sagen? Oh Gott! Was sollte sie bloß tun? Sie war durcheinander und ihr schlotterten die Knie.
„Ist dir nicht gut?“ Caspars Augen waren nicht mehr lieb wie vorhin. Er lehnte sich an die Wand, verschränkte die Arme vor der Brust und türmte damit eine unüberwindbare Mauer zwischen ihnen auf. Sie wollte keine Mauern mehr!
„Doch, alles in Ordnung. Das Tuch ... Vater distanziert sich von Schmucksachen.“
„Ach, dein Vater auch?“ Augenbrauen, die zuckten.
Sie schluckte trocken. Er auch? Was sollte das? Sie taxierte Caspar. Er starrte zurück. „Ja, wer denn noch?“
Caspar zeigte ein Lächeln, ein bitteres. „Nur so ein Gedanke nach dem, was los war.“
„Ja, richtig.“ Sie mied Caspars Blick, wandte sich an Meister Weber, da fiel ihr das Lügen leichter. Sie sollte sich was schämen! „Die schwankende Konjunktur. Wir dürfen von meinem Vater nicht erwarten, dass er sich irgendwann einmal persönlich für das Tuch bei Ihnen bedanken wird.“
„Er steht nicht in der Pflicht, Fräulein Treuentzien“, sagte Meister Weber milder, weil er die Feindseligkeit seines Sohnes wohl genauso spürte wie Luisa.
Sie tat sich leid.
Was folgte, kam pfeilschnell aus Caspars Mund: „Und der Fernheim. Hat der Fernheim das Tuch gesehen?“
Luisa bekam kaum mehr
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