Die Tuchhaendlerin von Koeln
summten schon, aber Stechmücken gab es noch keine. Es machte nichts aus, wenn wir abends kein Gasthaus erreichten und darum im Freien nächtigten. Waren die Pferde versorgt und die Mahlzeit gerichtet, dann kam die wundervolle Stunde der Ruhe. Ich
aß dann ganz langsam und lauschte auf die Stille. Du kennst ja nur die Stadt, du hast keine Ahnung, wie still es im weiten Land sein kann. Und dann der Duft der Frühlingsblumen! Ich liebe unsere Stadt Köln, aber niemand kann bestreiten, daß sie immerzu stinkt - nach Fäulnis, nach Gärung im Viertel der Bierbrauer, nach Schmutz, nach Abfall, nach Exkrementen; von dem bestialischen Gestank im Viertel der Gerber will ich erst gar nicht reden. Da war es ein berauschendes Erlebnis, ganz still zu sitzen, den Duft blühender Kamille neben dem kräftigen Geruch des Essens einzuatmen, und kein Laut war zu hören außer unserem Atem und dem gelegentlichen Schnauben der Pferde.
Das Blut kreiste schneller in meinen Adern. Ich sehnte mich nach Liebe, aber Gottschalk hatte die erste Nachtwache, und so wickelte ich mich in eine Decke und legte mich auf den Wagen zum Schlafen. Ich wurde wach, als Gottschalk seine Wache beendet hatte und ein paar leise Worte mit Gunther wechselte, der die zweite Wache übernommen hatte. Dann stieg auch er auf den Wagen und legte sich nieder. Ich streckte die Hand nach ihm aus; jetzt wollte ich nichts weiter, als mich an ihn zu kuscheln und dicht bei ihm weiterzuschlafen, aber Gottschalk brummte leise: »Laß gut sein, Sophia, ich bin jetzt zu müde.« Das konnte ich zwar gut verstehen, aber ich fühlte mich dennoch abgewiesen und schlief gekränkt wieder ein.
Wie üblich, machten wir in Dortmund Station. Die liebe dicke Adelgunde war vor drei Jahren verstorben, aber ihr Sohn Reinhold nahm uns mit der gleichen Freundlichkeit auf. Wir hatten Wein für ihn geladen und kauften dafür Gewürze von ihm. Sie kamen von seinem Bruder Patroklus, der jetzt in Treviso, im Norden Italiens, lebte.
Weiter ging es nach Braunschweig. Dies war unser erster Besuch seit dem Tod meiner lieben Freundin Mathilde. Ich richtete mich daher mit meinem Mann, unseren Söhnen Gunther und Richolf sowie dem Gehilfen und den beiden Knechten im Wirtshaus ein. Das brachte mir bittere Vorwürfe vom Haushofmeister des Löwen, der unsere Familie gleich am nächsten Tag dort abholte und zur Burg Dankwarderode brachte. Der Herzog war zur Zeit in Braunschweig anwesend, und er empfing uns mit der gleichen Herzlichkeit wie eh und je. Interessiert erkundigte er sich, welche Waren wir dieses Mal mitgebracht hatten, und verlangte, gleich am nächsten Tag die liturgischen Gewänder aus Seide mit Kölner Borte zu sehen.
Während unsere Männer dies am nächsten Tag vorbereiteten, spazierte der Herzog mit mir durch Braunschweig, so wie ich es immer gern mit Mathilde getan hatte. Wir gingen zuerst in den Dom Sankt Blasii. Ich hatte jahrelang zugesehen, wie aus einer Baustelle mit Kränen und lärmenden Arbeitern rasch ein majestätisches Gotteshaus emporwuchs.
Gemeinsam beteten wir am Grab der Herzogin. Sie ruht vor dem Hohen Chor im Angesicht des Kreuzaltars.
»Hier ist ein echter Splitter vom Heiligen Kreuz«, vertraute mir Heinrich an. »Sein Segen strahlt auf das Grab meiner Mathilde herab.« Er wandte sich ab, und ich tat, als hätte ich nicht gesehen, wie seine Augen feucht wurden.
Er zeigte mir auch den Marienaltar und einen kostbaren siebenarmigen Leuchter. Heinrich hat einen unglaublich erlesenen Geschmack. Was er anfertigen ließ, war niemals zu klobig oder prunkvoll, sondern stets von vollkommenem Maß.
Der Hohe Chor und der Marienaltar waren übrigens 1188 so weit fertiggestellt, daß der Gottsdienst aufgenommen werden konnte. Der Bischof von Hildesheim weihte ihn, und das Herzogspaar war vorübergehend aus dem Exil
nach Braunschweig gekommen, um an dieser Feier teilzunehmen.
Da das Wetter so schön war, wanderten wir anschließend durch den Hagen, das Gelände, welches der Herzog durch Flamen und Friesen hatte entwässern und roden lassen. Am großen rechteckigen Hagenmarkt plauderte der Herzog mit den flämischen Tuchmachern wie mit seinesgleichen. Ich erfuhr von einem alten weißbärtigen Wollweber, daß sein Haus in Flandern bei einer großen Sturmflut im Jahre 1164 fortgerissen wurde, mitsamt seiner Familie. Er war darum froh gewesen, in Braunschweig ein ganz neues Leben anzufangen.
Der Herzog kaufte alles, was wir an Seide und Kölner Borte dabeihatten, sowie den
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