Die Tuchhaendlerin von Koeln
Wir wollen alles tun, um sie nicht zu sehr leiden zu lassen. Ich werde ihr sehr bald folgen, seit heute morgen hat das Fieber mich auch gepackt. Ich muß nicht ohne meine Hadewigis weiterleben, das ist sehr tröstlich für mich. Unser Testament ist längst gemacht, unser Haus ist bestellt. Nun laß uns in Frieden gehen, Tochter. Mein letzter Gedanke wird dir gelten, unserem einzigen Kind, unserer Herzensfreude. Im Himmel sehen wir uns dann wieder.«
Es war, wie Vater gesagt hatte. Mutter starb am nächsten Morgen, umsorgt von Vater und mir bis zum letzten Atemzug. Dann legte Vater sich in ihr Bett und war am gleichen Abend tot. Die Nonnen wunderten sich, daß die Krankheit bei ihm so rasch fortgeschritten war, aber ich wußte, daß er Hadewigis nicht warten lassen wollte.
Auch Tante Engilradis starb, Gott hüte ihre liebevolle Seele in seiner Gnade. Wir begruben alle drei am gleichen Tag, und meine Eltern lagen gemeinsam in einem großen Sarg. Der Friedhof konnte die Trauergäste nicht fassen, sie standen bis weit in die angrenzenden Straßen hinein. Nicht nur die großen Familien waren ausnahmslos vertreten, auch riesige Scharen von armen Leuten waren gekommen; sie weinten und schluchzten in tiefem Kummer, weil Engilradis tot war, die sich seit Jahrzehnten um sie gekümmert hatte. Wer würde sich nun um sie sorgen?
Nach der Beerdigung konnte ich mich nicht gleich von dem Grab trennen. Ich schickte alle Verwandten weg, nur Gottschalk durfte bei mir bleiben. Hier lagen sie alle: meine Eltern, Großvater und meine vor meiner Geburt verstorbene Großmutter, Onkel Fordolf mit seiner Frau, auch sein Bruder Johannes mit Richlinde; sie waren auch schon etliche Jahre lang tot.
»Alle, die vor uns waren, sind nun fort«, meinte ich nachdenklich. »Wir werden dann wohl die nächsten sein.«
Gottschalk schüttelte heftig den Kopf. »Wo denkst du hin, Sophia?« sagte er. »Du doch nicht. Du wirst ewig leben, das ist doch klar.«
Als wir da standen, wußte ich noch nicht, daß ein noch schlimmerer Schlag auf uns wartete. Die Seuche war fast zum Erlöschen gekommen, da griff sie sich mit ihren Knochenfingern noch ein letztes Opfer - unseren Sohn Gunther. Ein
junger, kräftiger Mann; wir dachten, er würde die Krankheit ganz gewiß überwinden. Ich holte ihn in unser Haus zur Pflege, damit Johanna und die Kinder sich nicht ansteckten, schickte darum auch dich und deine Schwester Sophia zu ihr. Blithildis bot mir an, bei der Pflege des Bruders zu helfen; aber das gestattete ich ihr natürlich nicht, denn sie war schwanger.
Das Fieber stieg und stieg bei Gunther, und kein Mittel wollte dagegen helfen. Er hatte täglich mehrere Durchfälle und magerte bis auf die Knochen ab. Ich wich nicht aus dem Krankenzimmer. Der Arzt kam täglich, eine Nonne der Ursulinen wechselte sich mit mir bei den Nachtwachen ab. Auch Gottschalk nahm immer wieder meinen Platz an Gunthers Bett ein und zwang mich, doch wenigstens ein paar Stunden zu schlafen.
Jeden Morgen, nachdem ich ihn sorgsam mit kühlem Wasser abgewaschen hatte, ging ich nach St. Laurenz oder in eine andere Kirche und flehte die Gottesmutter oder einen der vielen Heiligen um Fürsprache bei Gott an, daß er unserem Sohn das Leben ließe, zündete Kerzen an, spendete reichlich. Aber mein Flehen war nicht laut genug, meine Bitten wurden nicht erhört. Eines Nachts hörte Gunther einfach auf zu atmen.
Ich hatte die Hoffnung nicht aufgegeben, daß er wieder genesen würde; viele Kranke hatten überlebt, darunter auch Alte und Schwache; mein Sohn war jung und kräftig, warum sollte gerade er die Seuche nicht bezwingen?
Als ich endlich begriff, daß er nie wieder die Augen öffnen würde, überfiel mich der Jammer mit solcher Wucht, daß ich laut zu schreien anfing. Mir fiel der grauenhafte Augenblick ein, als ich Gunthers Bruder Regenzo tot in seiner Wiege
gefunden hatte, und ich schrie und schrie. Ich wollte mit dem Kopf gegen die Wand rennen, um meinen entsetzlichen Schmerz zu beenden. Doch dann stand Gottschalk mir zur Seite und hielt mich ganz fest, bis mein Geschrei in trostloses Weinen mündete. Nach langer Zeit schlief ich völlig erschöpft ein, und als ich viele Stunden später wieder aufwachte, war mein Sohn schon bereit, um zur letzten Ruhe getragen zu werden. Schleppend stand ich auf, um ihn zu begleiten; aber als der Sarg zur Tür hinaus getragen wurde, brach ich zusammen. Ich fiel in eine so tiefe Ohnmacht, daß meine Angehörigen fürchteten, sie müßten nun
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