Die Tuchhaendlerin von Koeln
auch ein Auge während unserer Abwesenheit, jederzeit konnte der Gehilfe bei ihr oder meinem Vater anfragen.
Auch dieses Mal erwartete mich wieder ein tadellos geordneter Haushalt, gekämmte Kinder, ein funktionierendes Geschäft. Dankbar umarmte ich meine Eltern und ging gleich zu Bett. Oh, wieder in einem richtigen Bett schlafen! Trocken! Warm! Eine Kammer ohne Stechmücken, gelüftetes Bettzeug! Wohlig legte ich mich zur Ruhe.
Es dauerte zwei Tage, bis ich merkte, daß meine Mutter matt und müde war und ziemlich blaß aussah. Ich hatte mich inzwischen erholt und schämte mich, daß mir ihr besorgniserregendes Aussehen nicht sofort aufgefallen war. Aber als ich Mutter fragte, was ihr fehlte, wehrte sie ab.
»Es ist nichts, Sophia«, sagte sie. »Ich bin nur ein wenig matt und habe Kopfschmerzen. Und Verstopfung, seit einigen Tagen.«
»Ich bereite dir sofort einen Abführtee«, sagte ich und widmete mich schleunigst wieder meinen Pflichten. Warum vergaß ich denn immer wieder, daß meine Mutter inzwischen fünfundachtzig Jahre alt war? Wie konnte ich nur einer Greisin meine Arbeit auf den Rücken laden? Meine Mutter schien mir immer gleich, obwohl ihre Haut die Glätte der Jugend längst verloren hatte. Aber sie hielt sich noch immer gerade, und sie klagte nie über Beschwerden. Außerdem teilte sie ihre verbliebenen Kräfte so klug ein, daß man deren Schwinden kaum bemerkte.
Ich nahm mir vor, mich jetzt besonders um meine Eltern zu kümmern. Nun, da auch der Herzog tot war und niemand von seiner Familie mehr in Braunschweig lebte, gab es künftig keinen Grund mehr für mich, auf weite Reisen zu gehen.
Ich eilte also zu den Ursulinen und erbat mir Kräuter aus ihrer Apotheke, braute selbst den Tee und saß bei meiner Mutter und sah ihr zu, wie sie ihn austrank.
Spontan legte ich meine Hand auf ihre.
»Mutter, ich merke gerade, wie selbstsüchtig ich bin und wie ich deine unermüdliche Hilfsbereitschaft nicht nur ausgenutzt, sondern auch noch als selbstverständlich gesehen habe. Bitte, verzeih mir das. Ich will es in Zukunft besser machen. Mutter, ich liebe dich.«
Hadewigis nahm bedächtig den letzten Schluck und lächelte. »Meine Tochter liebt mich. Dafür ist mir keine Mühe zuviel. Laß gut sein, Sophia. Ich habe das alles immer gern für dich und deine Familie getan. Man möchte ja auch wissen, daß man noch auf dieser Erde gebraucht wird.
Aber ich stimme dir darin zu, daß dies nun anders werden sollte. Ich merke, daß ich inzwischen doch zu müde bin. Vor allem um deine jüngsten Töchter mußt du dich in Zukunft selbst kümmern, die Sorge um sie geht über meine Kräfte.«
Ich nickte und nahm mir fest vor, Mutter ihre unermüdliche Fürsorge zu entgelten.
Ach, hätte ich diesen Vorsatz doch nur schon früher gefaßt! Mir blieb kaum noch Zeit dazu. Am nächsten Tag ging es Mutter noch schlechter, und sie fing an zu fiebern. Tante Engilradis kam, um bei Mutters Pflege zu helfen; aber nach zwei weiteren Tagen lag sie selbst krank zu Bett. Ich machte mir große Sorgen und suchte Hilfe bei den Ursulinen. Dort hörte ich, daß es viele Krankheitsfälle in der Stadt gäbe.
Auch die Äbtissin lag fiebernd auf ihrem Lager und konnte mir nicht beistehen. Aber die Priorin kam, zusammen mit der Schwester, welche die Apotheke verwaltete. Nachdem sie die Kranke besucht hatten, nahm die Priorin meine beiden Hände.
»Kind, du mußt jetzt tapfer sein«, sagte sie traurig. »Dies ist eine sehr schlimme Krankheit. Sie heißt Typhus, und sie verläuft meistens tödlich. Deine Mutter ist sehr alt, sie hat keine Kraft mehr. Du kannst jetzt nur noch für sie beten, und wir wollen das auch tun.«
Damit gingen sie. Mir war entsetzlich elend, und ich sank auf den nächsten Stuhl, weil meine Beine unter mir nachgaben. Mutter, oh, meine Mutter! Und wie sollte ich das Vater beibringen? Ich ging wieder in die Krankenstube, wo Vater am Bett saß und Mutters Hand hielt.
Ich wollte mich zusammenreißen, aber ich konnte nicht. Der Schmerz überwältigte mich, und ich sank bitterlich weinend am Bett zusammen. Mein Vater legte tröstend seine Hand auf meine Schulter.
»Ist ja schon gut, Sophia. Weine dich nur aus, wenn du das nötig hast. Aber uns brauchst du nicht zu bemitleiden«, hörte ich die Stimme meines Vaters. Ich blieb liegen, bemühte mich aber, mein krampfhaftes Schluchzen zu unterdrücken, damit ich verstehen konnte, was er mir zu sagen hatte.
»Mutter kann dich nicht mehr hören, sie liegt im Delirium.
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