Die Tudor-Verschwörung: Historischer Roman (German Edition)
Henry, »aber selbst ein Hund kann erkennen, wer seine Mutter ist. Kannst du es?«
Er beäugte mich streitsüchtig. Seine Attacken waren schon immer von Hass erfüllt gewesen, doch heute sagte er nichts, was ich nicht schon oft zu hören bekommen oder sogar selbst in nächtlicher Einsamkeit bedacht hatte. Ich ließ mich nicht von ihm provozieren.
»Wenn sich die Möglichkeit dazu böte, hoffe ich sehr, dass ich es könnte.«
»Zweifellos«, schnaubte Guilford. »Ich würde dasselbe sagen, wenn ich an deiner Stelle wäre. Gott sei Dank bin ich es nicht.«
Robert funkelte seine Brüder an, als sie erneut in schallendes Gelächter ausbrachen. »Herrgott, ihr klingt wie ein Haufen Waschweiber! Wen interessiert denn der Bursche? Kümmert euch lieber um eure Angelegenheiten. Seht nur, die Herren vom Kronrat scharen sich dort hinten um das Podest wie ein Krähenschwarm.«
Ich folgte seinem Blick zu einer Gruppe düster dreinblickender Männer, die so dicht beieinanderstanden, dass ihre schwarzen Roben wie ein einziger Tintenfleck zusammenflossen. Sie hatten sich tatsächlich um ein Podest versammelt, das mit Goldbrokat behängt war. Mitten darauf prangte ein breiter, mit Samt bezogener Thron, darüber ein Baldachin mit eingestickter Tudor-Rose. Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich heute Abend vielleicht den König höchstpersönlich sehen würde, und ich spürte ein aufgeregtes Kribbeln, während ich mir den Saal näher ansah.
Er war hell erleuchtet. Seine bunt bemalte Decke stand in völligem Kontrast zu einem schwarz-weißen Fliesenboden, über den die Edelleute wie über ein riesiges Schachbrett schritten. Auf der Galerie griffen die Hofmusiker in die Saiten, während die Höflinge zu den langen, mit erlesenen Speisen und Karaffen beladenen Tischen strebten oder sich in kleinen Gruppen versammelten, um zu tuscheln, sich eitel in die Brust zu werfen oder zu gaffen.
Wenn Intrige einen Geruch hätte, würde Whitehall zum Himmel stinken.
Hinter uns hörte ich Schritte. Ich drehte mich um und gewahrte eben noch eine hohe Gestalt in eisengrauem Damast, bevor ich mich so tief verbeugte, wie ich nur konnte.
John Dudley, Herzog von Northumberland, sagte mit ruhiger Stimme: »Ich sehe, ihr seid alle da. Gut. Ambrose, Henry, geht und steht dem Kronrat zur Seite. Die Herren bedürfen offenbar einer Erfrischung. Robert, ich habe gerade gehört, dass jemand mit Autorität in einer dringenden Angelegenheit im Tower benötigt wird. Bitte geh, und kümmere dich darum.«
Selbst mit gebeugtem Kopf vernahm ich die Ungläubigkeit in Roberts Stimme. »Im Tower? Ich war doch erst heute Nachmittag dort, und alles schien in bester Ordnung. Da muss ein Irrtum vorliegen. Darf ich den Herrn Vater bitten, mich später darum kümmern zu dürfen?«
»Leider nein«, erwiderte der Herzog. »Wie gesagt, die Sache ist dringend. Wir haben heute eine frühe Sperrstunde verhängt, und es darf nichts passieren, was die Bevölkerung in Aufruhr versetzt.«
Die Wut, die von Robert ausging, war fast körperlich zu spüren. »Mylord«, knurrte er mit einer knappen Verbeugung und stelzte davon.
Der Herzog wandte sich an den letzten Sohn, der noch übrig war. »Guilford, finde einen Stuhl am Kamin, und bleib dort. Wenn Ihre Hoheiten von Suffolk eintreffen, betreue sie deinem Rang gemäß. Und sieh bitte zu, dass du dich heute bei deinem Weinkonsum ein wenig zurückhältst.«
Missmutig schlurfte Guilford aus dem Saal. Mit einem nachdenklichen Seufzer richtete der Herzog seine gleichgültigen schwarzen Augen auf mich. »Junker Prescott, erhebt Euch. Es ist lange her, seit ich Euch zuletzt gesehen habe. Wie war die Reise?«
Ich musste den Hals recken, um Northumberlands Blick zu begegnen. Nur selten hatte ich ihm von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden, da sein Dienst beim König ihn die meiste Zeit am Hof zurückhielt, und wie jedes Mal war ich von seiner Erscheinung beeindruckt. John Dudley hatte sich seine schlanke Gestalt dank lebenslanger Disziplin erhalten, und seine Größe wurde von dem maßgeschneiderten, knielangen Brokatmantel noch betont. Eine dicke Goldkette um seine Brust bezeugte seinen Reichtum und Erfolg. Niemand konnte übersehen, dass er in diesem Mann einen Mächtigen vor sich hatte; nur wenige bemerkten wohl darüber hinaus die Anzeichen von Schlaflosigkeit in den tiefliegenden Augen oder die Sorgenfalten um den Mund, den ein gestutzter Spitzbart umrahmte.
Eingedenk Master Sheltons Worten über den Preis der Macht
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