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Die Tudor-Verschwörung: Historischer Roman (German Edition)

Die Tudor-Verschwörung: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Tudor-Verschwörung: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher W. Gortner
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Äußerlichkeiten bedeuteten nichts. Sie war nicht mehr da – allein das zählte. Sie war nicht mehr da und würde nie wieder zu mir zurückkehren. So hatte man es mir erklärt. Und das glaubte ich. Ich war zwölf Jahre alt und des einzigen Menschen auf der Welt beraubt worden, der mich je geliebt hatte. Ihr Verlust wurde zu einer niemals heilenden Wunde, die ich tief in meinem Innersten verbarg.
    Plötzlich stieg die alte Frage mit der Macht eines Vulkanausbruchs in mir empor:
    Warum? Warum hast du mich verlassen?
    Doch ein einziger Blick auf ihre Gestalt gab mir die Antwort.
    Die Narben an ihren Knöcheln – es waren dieselben wie bei Maultieren, die von ihren gefühllosen Herren dazu gezwungen werden, ein Leben lang mit aneinandergeketteten Beinen im Kreis zu humpeln, damit eine Tretmühle und die damit verbundenen Mühlräder sich unablässig bewegen. Meine Finger fuhren sachte über ihr Kinn, wie um eine verängstigte Stute zu beruhigen. Und wie eine Stute begriff sie. Sie öffnete die Lippen. Ihr Mund gähnte schwarz. Geschändet.
    Sie hatten ihr die Zunge herausgeschnitten.
    Ein Schrei stieg mir in die Kehle. Ich unterdrückte ihn, als ich Elizabeth stöhnen hörte: »Ist das die Frau, die meinen Bruder vergiftet hat?«
    Vom Bett her hörte ich Sidney antworten: »Ja. Lady Dudley hat sie hierhergebracht … Sie hat ihr befohlen, die Behandlungen durchzuführen. Aber sie … sie …«
    »Was?«, blaffte Elizabeth. »Raus mit der Sprache!«
    »Mistress Alice ist eine hervorragende Kräuterkundige«, erklärte ich mit erstickter Stimme. »Sie hat mich in meiner Kindheit von vielen Krankheiten geheilt. Etwas wie das hier hätte sie nie von sich aus getan.«
    Elizabeth deutete auf ihren Bruder. »Und das könnt Ihr nach allem, was sie angerichtet hat, noch sagen?«
    Mistress Alice’ verstümmelte Hand zupfte an meinem Wams. Ich sah ihr in die Augen, und mit einem Schlag schmolz der Klumpen in meiner Brust. Barnaby fing meinen warnenden Blick auf, dann wandte ich mich auch schon zu Elizabeth um. »So etwas würde sie einem Lebewesen, geschweige denn einem Menschen, nie und nimmer antun – es sei denn, man zwingt sie dazu! Man hat sie verletzt, gefoltert. Der Herzog hat das befohlen.«
    »Warum?« Elizabeth brach die Stimme. »Lieber Gott im Himmel, warum tun sie ihm das an?«
    »Um ihn am Leben zu halten. Um Zeit zu gewinnen«, lautete meine grimmige Antwort.
    Elizabeth starrte mich an. »Ich kann ihn nicht so zurücklassen. Wir müssen ihn aus diesem Bett wegschaffen.«
    »Das können wir nicht«, widersprach ich, wofür ich einen verächtlichen Blick erntete. »Wir müssen weg von hier«, fügte ich entschlossen hinzu. »Sofort.«
    Elizabeth warf Barnaby einen fragenden Blick zu. »Ich höre nichts.«
    »Ich auch nicht«, antwortete ich. »Aber Mistress Alice sehr wohl! Schaut sie Euch nur an!«
    Elizabeth gehorchte. Mistress Alice war zur Geheimtür geschlurft und gab uns aufgeregt Zeichen. Ihre Hände waren grausam verkrümmt worden, und die Finger und Gelenke waren kaum noch als menschlich zu erkennen. In den Jahren der Gefangenschaft war ihr alle Kraft, alles Leben geraubt worden. Bei ihrem Verschwinden war sie noch keine fünfzig Jahre alt gewesen.
    Ich musste meine Wut mit Gewalt unterdrücken. Schweigend kehrte ich zu Elizabeth zurück. Sie blickte mir herausfordernd in die Augen, um sich dann abrupt zur Tür umzuwenden.
    Barnaby trat an ihre Seite. Sidney stürzte zu einem Kasten und riss den Deckel auf. Dort ruhte in einer Lederscheide ein Schwert mit juwelenbesetztem Griff. Er packte es und warf es mir zu. »Edward hat dafür keine Verwendung mehr. Es ist aus Toledo-Stahl, ein Geschenk des kaiserlichen Botschafters. Ich werde versuchen, die Kerle aufzuhalten. Seht zu, dass Ihr entkommt.«
    So, wie sich das Schwert in meinen Händen anfühlte, war mir sofort klar, dass es für jemanden von geringer Statur wie mich geschmiedet worden war. Nur hätte ich mir nie eine derart kostbare Waffe leisten können.
    Mistress Alice schlurfte unterdessen zum Bett. »Bringt Ihre Hoheit in Sicherheit!«, befahl ich Barnaby und trat die Geheimtür so fest hinter ihnen zu, dass sie ihm fast ins Gesicht schlug. Sidney, der zur Eingangstür geeilt war, sah, dass ich geblieben war, und erstarrte. »Was wollt Ihr hier noch? Sie sind fast schon da!«
    Ich lief zu Alice hinüber, die vor dem Nachttisch stand und in einer Holztruhe herumwühlte – ihre Medizintruhe, die sie immer außerhalb meiner Reichweite auf dem obersten

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