Die Tudor-Verschwörung: Historischer Roman (German Edition)
hatte sie es mit allen Mitteln darauf angelegt, ihren Lieblingssohn in den höchstmöglichen Rang zu hieven. Sie war sogar hinter irgendeine Schwäche in der Vergangenheit der Herzogin von Suffolk gekommen und hatte offenbar eine teuflische Abmachung mit ihr getroffen – alles nur zu dem einen Zweck, ihrer Familie Macht zu sichern.
Doch ihr Gemahl, der Herzog, hatte es ihr mit falscher Münze vergolten. Zum Schein hatte er sie unterstützt, es dann jedoch darauf angelegt, Elizabeths Hand zu gewinnen. Irgendwie hatte Lady Dudley das freilich durchschaut und die ganze Wahrheit erkannt.
Was wusste sie sonst noch? Was hatte sie noch alles geheim gehalten?
Als könnte sie Gedanken lesen, verzogen sich ihre blutleeren Lippen zu einem Lächeln. »Zwanzig Jahre. So lange ist es her, dass du in unser Leben getreten bist. Schlau warst du ja schon immer. Viel zu schlau. Alice pflegte zu sagen, sie hätte noch nie ein Kind gesehen, das so begierig darauf war, die Welt zu verstehen. Vielleicht sollte ich dich doch noch ein bisschen länger am Leben erhalten, falls unsere zornige Herzogin beschließen sollte, ihr Versprechen zu brechen. Sie glaubt, du seist tot, aber ich bin nun einmal auf ihre Willfährigkeit angewiesen, bis Jane zur Königin ausgerufen worden ist. Ich könnte dich erneut benutzen.«
Ich spürte kalten Schweiß auf der Stirn und in der Hand, die immer noch das Tuch umklammerte.
Diesmal gab ich meine Angst nicht zu erkennen, als ich antwortete: »Ich könnte von noch größerem Nutzen sein, wenn Mylady mir alles sagte.«
»Alles?« Sie musterte mich mit einer Spur von Humor in den kalten grauen Augen.
»Ja.« Mir schnürte sich die Brust zusammen, bis ich befürchtete, keine Luft mehr zu bekommen. »Ich wurde doch zu einem bestimmten Zweck hierhergebracht, nicht wahr? In Whitehall hat Mylady der Herzogin von meinem … Muttermal erzählt.«
»So? Das hast du verstanden? Ich habe mich schon gefragt, ob nicht auch fließendes Französisch zu deinen vielen verborgenen Talenten zählt. Wie faszinierend. Du hast wahrlich nicht auf der faulen Haut gelegen.«
Der Schweiß rann mir über das Gesicht und sammelte sich unter der Kehle. Von seinem Salz brannten mir die Schrammen auf den Wangen. »Ich habe es mir selbst beigebracht«, erklärte ich. »Ich bin schlau, das stimmt. Und wenn ich wüsste, für wen mich die Herzogin hält, könnte ich Euch helfen. Ich bin offen für eine Lösung, die uns beiden nützen wird.«
Es war ein aus der Verzweiflung geborener, jämmerlicher Versuch, sie zu täuschen, und sie beantwortete ihn mit einem verblüffend heiteren Lachen.
»Bist du das? Dann habe ich dich überschätzt. Glaubst du wirklich, ich bin so dumm, dass ich dir vertraue, zumal du jetzt diese Hure von Boleyn schützt? Aber mein Dilemma habe ich inzwischen überwunden. Shelton, behaltet ihn im Auge, während ich Seine Majestät versorge.«
Sie glitt zum Bett. Verstohlen ließ ich das Tuch in meiner Wamstasche verschwinden, während ich Master Shelton herausfordernd anstarrte. Er wich meinem Blick beharrlich aus und fixierte einen Punkt an der Wand vor sich, doch ich wusste, dass er wie ein Vulkan explodieren würde, sollte ich einen Fluchtversuch wagen. Er hatte die Reflexe eines Soldaten – was der Grund war, warum es mich einigermaßen verwirrte, dass er nicht wahrzunehmen schien, wie sich Sidney aus dem Alkoven stahl, in den er zurückgewichen war.
Nun, da Sidney sich entfernt hatte, bewegten sich die Vorhänge.
Ich wandte meine Aufmerksamkeit dem Bett zu. Inzwischen hatte Mistress Alice das Pulver mit der Flüssigkeit im Kelch verrührt. Edward zeigte keine Regung, noch protestierte er, als sich Lady Dudley über ihn beugte, um die Decken und Kissen zu glätten. Stumm starrte er sie aus unbeweglichen, von Schmerzen verschatteten Augen an, als sie Mistress Alice den Kelch abnahm und ihm die freie Hand hinter den Kopf schob, um ihn zu stützen, während sie ihm mit der anderen den Kelch an die Lippen hielt.
»Trink«, sagte sie. Und als Edward gehorchte, lächelte sie. »Und jetzt ruhe. Ruhe und träume von Engeln.«
Die Augen fielen ihm zu. Er schien mit seinen Kissen zu verschmelzen. Lady Dudley wandte sich ab, stellte den Kelch auf den Tisch und griff in die Medizintruhe. Mit einer einzigen fließenden Bewegung zog sie etwas hervor und fuhr herum. Stahl blitzte auf. Kein Laut war zu hören. Aus Mistress Alice’ Kehle spritzte ein dunkelroter Strahl und ergoss sich über den Teppich und das Bett. Vor
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