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Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Titel: Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirincci
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bemerken?
    Vom oberen Ende der Straße bog ein altersschwacher, signalroter Magirus-Lastwagen um die Ecke und kroch mit lautem Geächze in Seichtems Richtung. Während Ali den Kopf nach rechts drehte und die einzige Abwechslung in der Tristesse auf sich zukommen sah, erkannte er, daß ihm in dem ganzen chronometrischen Wirrwarr nun ein waschechtes Zeitph änomen widerfuhr, nämlich ein Déjà- vu-Erlebnis. Die Szene kam ihm bekannt vor, ja, er hatte das sichere Gefühl, daß er das alles so oder so ähnlich schon einmal durchlebt hatte. Selbstverständlich hatte er hier lange genug gewohnt, um an einer Fülle von Lebensbildern teilzuhaben. Dennoch wußte er plötzlich mit unerschütterlicher Gewißheit, daß von diesem Bild nur eine einzige Kopie in seinem Gedächtnis existierte.
    Der Laster war ein Umzugswagen mit der typischen kastenartigen Pritsche, die das ganze Gefährt dominierte. »Vierer Bande« stand in großen, chinesische Schriftzeichen parodierenden Lettern an den Längsseiten; darunter befanden sich Adresse und Telefonnummer des Transportunternehmens. Im Führerhaus saßen eng gedrängt vier bullige Kerle, deren Erscheinungsbild kaum dem Klischee von Spediteuren als adretten Dienstleistern entsprach. Sie trugen Netzhemden, schmutzige T-Shirts mit dem berühmten Che-Guevara-Konterfei und breite Ledergürtel, auf denen Totenschädel als silberne Schnallen protzten. Einer hatte die Haare pomadisiert und trug sie wie ein schmieriger Latino nach hinten gekämmt, ein anderer hatte sich eine Glatze rasiert und war an beiden Augenbrauen gepierct. Narbig waren ihre Gesichter, sie erzählten von einer rauschhaft abgelebten Jugend, und ihre Körper zierten derart viele Tätowierungen, daß man damit hätte bequem einen Bildband füllen können. Ganz klar, hier waren gemeingefährliche Gangster auf Diebestour unterwegs.
    Was aber nicht stimmte. Ali hatte die Jungs zwei Wochen, bevor Ida und er in das Haus eingezogen waren, in einer Künstlerkneipe kennengelernt. Es waren ehemalige Punker, die eines schönen Tages aus ihrem Sixpackdelirium erwacht waren und voller Entsetzen die ersten weißen Härchen in ihrer sonst grellbuntgefärbten Frisur entdeckt hatten. Sie hatten zwei Alternativen: Entweder so destruktiv weitermachen wie bisher und mit Fünfunddreißig sterben oder in ein bürgerliches Leben eintreten. Sie wählten den Mittelweg, kauften mit geborgtem Geld den alten Magirus und gründeten die »Vierer Bande«, ein alternatives Umzugsunternehmen. Sie waren dabei ihr eigener Herr, und konnten als Nebeneffekt den Alkohol, den sie immer noch in kriminellen Mengen genossen, während der anstrengenden körperlichen Arbeit ausschwitzen.
    Angetan von ihrer sympathischen Art, gab Ali den Jungs den Zuschlag für den Umzug und wunderte sich später darüber, warum sie erheblich fixer waren als die dickbäuchigen, majestätische Pausen einlegenden und ständig in endlose Palaver verstrickten Profis, die man sonst bei der Arbeit sehen konnte. Jetzt allerdings, in der traurigen Gegenwart, wunderte er sich über etwas anderes. Genauer gesagt wunderte er sich über zweierlei.
    Er war zwar immer noch ziemlich benebelt, und doch konnte er durch die Windschutzscheibe des Lasters erkennen, daß die »Vierer Bande« in all den Jahren um keinen Deut gealtert war. Ja, wenn er sich recht entsann, steckten die Jungs in denselben Outfits wie seinerzeit. Das allein gab noch keinen Anlaß zum Staunen, denn solche Subkulturgewächse wie die Bandenmitglieder schienen oft alterslos zu sein. Das Alter hatte schließlich auch etwas mit der inneren Einstellung zu tun, mit der Kleidung, wie man sich bewegte, wie man dachte und nicht zuletzt mit der berühmt berüchtigten Ausstrahlung. Jedenfalls glaubten das die Leute, die ums Verrecken nicht altern wollten. Was jedoch Seichtems neuerliche Übelkeit noch verstärkte und ihn geradezu bestürzte, war der Umstand, daß die »Vierer Bande« nicht einfach an ihm vorbeifuhr, in altersloser Frische zu neuen Umzugszielen, sondern - er hatte es eigentlich geahnt - den Magirus genau vor seinem Haus stoppte. Wie damals, als er und Ida in der Gewißheit, endlich den Wechsel von der armen zu der reichen Sphäre vollzogen zu haben, hier ihren Einstand gegeben hatten. »Wie damals ...«, sagte er auch denn wieder laut und tat, ohne es zu merken, einen Schritt in die Gasse zurück.
    Er verstand es nicht. Sollte der pensionierte Unternehmer schon nach acht Monaten wieder einen Tapetenwechsel suchen? Warum?

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