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Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Titel: Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirincci
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fotokopiert hatte, wie ein Trottel noch einmal. Diesmal allerdings so nervtötend langsam, als stünde er unter einer Droge, welche die Motorik lahmt. Natürlich hätte er sie ansprechen können. Doch im Falle einer Abfuhr befürchtete er einen inwendigen Weltuntergang. Außerdem hätte dann sein in erotischen Dingen erfolgsverwöhntes Selbstbewußtsein solch verzweigte Risse bekommen wie eine Windschutzscheibe bei einem Frontalzusammenstoß.
    Obwohl er im Zeitlupentempo fotokopierte und dabei die Dame an der Kasse in seiner imaginären Peepshow mehrfach hatte auftreten lassen, fand auch dieser Genuß irgendwann ein Ende. Er bezahlte und verließ den Laden. Draußen, fest entschlossen, die Geschichte auf sich beruhen zu lassen, schlenderte er die Straße sinnlos auf und ab, in der Selbsttäuschung, nun endlich weltbewegende Aktivitäten in Angriff zu nehmen. Aber es klappte nicht. Er hatte das fast schmerzhafte Gefühl, einen lebensentscheidenden Fehler zu begehen, wenn er jetzt wegging und es zuließ, daß diese Schöne in den folgenden Tagen zu einer netten Erinnerung verblaßte, bis sie am Ende des Monats vollkommen aus seinem Gedächtnis gelöscht wäre.
    Also ging er nach einer halbstündigen Anstandspause wieder in den Shop und fing erneut zu fotokopieren an ...
    »Wenn Sie wollen, tue ich das für Sie, und Sie können Ihre Unterlagen abends abholen, bevor ich schließe. Scheint sich wohl sowieso immer nur um die gleichen Sachen zu handeln.«
    Sie sah ihn mit ihrem weisen Lächeln von der Kasse aus an und tippte sich mit dem zerkauten Radiererende eines Bleistifts an den Erdbeermund. Ali wurde weder rot noch glitten ihm die Papiere infolge einer slapstickhaften Schreckreaktion aus den Händen, obwohl ihr überraschendes Angebot ihn hätte aus der Bahn werfen müssen. Statt dessen funktionierte er mit der Geistesgegenwart eines routinierten Trickbetrügers.
    »Oh, das wäre wunderbar!« strahlte er und bemühte sich, seinen so oft vom Sieg gekrönten Charme in Sekundenschnelle aufzubauen. »Ich bin so furchtbar beschäftigt heute, wissen Sie. Für Ihre Hilfe würde ich mich natürlich revanchieren und Sie … «
    »Zum Essen einladen?«
    Sie schaute ihn so unschuldig an, als wäre sie soeben auf die Welt gekommen.
    »Ähm ...«
    »Heute abend?«
    »Ähm … «
    »Okay!«
    Was natürlich nicht so ganz okay war. Denn erstens würde er für dieses Unternehmen zwecks Geldbeschaffung mindestens drei geneigte Freunde abklappern müssen und zweitens: Wie würde er bloß die Zeit bis zum entscheidenden Termin totschlagen? Es war gerade früher Vormittag!
    Ach Gott, das waren noch Probleme gewesen, dachte Seichtem, als er im Regen durch die trostlosen Straßen mit den verkniffenen Schlechtwettergesichtern eilte. Der Regen hatte eingesetzt, nachdem er die Gasse wie von Bluthunden gehetzt verlassen und das Altbaugebiet hinter sich gelassen hatte. Er war durch das Gesehene derart aus dem Lot geraten, daß ihm allein der Gedanke, auf den Bus zu warten und dann die gemächliche Fahrt an unzähligen Haltestellen zu unterbrechen, gewaltige Streßstöße einjagte.
    Ida lebte jetzt ebenso wie er am Stadtrand, allerdings in entgegengesetzter Richtung. Doch im Gegensatz zu ihm bewohnte sie eine richtige Mietwohnung, wenn auch eine kleine. Nach der Scheidung hat sie sich auf einen der diversen Jobs ihrer Jugendtage besonnen und dekorierte nun die Schaufenster einiger Schuhläden in der Geschäftsmeile. Zwar war sie ebenfalls im Leid erstarrt, aber sie unterwarf sich einer schier militärischen Disziplin, um daran nicht auch noch zu ersticken. Zumindest arbeitete sie, versuchte eingeschlafene Freundschaften wiederzubeleben und sich an den kleinen Höhepunkten des Alltags zu erfreuen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie den zurückliegenden Alptraum überwunden haben würde.
    Freilich wußte Seichtem das alles nur aus zweiter Hand. Von ihm zufällig über den Weg gelaufenen Bekannten oder Idas Freundinnen, die aus dem Staunen nicht herauskamen, daß sie sich nach all den Jahren bei ihnen gemeldet hatte. Er selbst hatte sie nach dem Auszug aus dem Haus nur noch zweimal getroffen, und jedesmal hatte sie ihn angefleht, sie in Ruhe zu lassen. Bis er schließlich ihrer Bitte entsprach und all seine Sorgen der Flasche anvertraute.
    Was für ein Kontrast zu damals! Sie waren nach diesem denkwürdigen Abendessen in einem Steakrestaurant sofort im Bett gelandet, und rückblickend kam es ihm so vor, als wären sie die folgenden zehn Jahre

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