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Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Titel: Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirincci
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gewaltsam für unwirklich zu erklären, wenn man gleichzeitig wußte und fühlte, daß es das Wirklichste war, was man je gesehen hatte. Tränen schossen Ali in die Augen, sein Kopf vibrierte wie eine angeschlagene Glocke, und er gestand sich ein: Diese Tür führte in eine andere Zeit, zehn Jahre zurück, und er haßte diese beiden Helden in dieser verlorenen und doch so glorreichen Zeit, weil sie alles besaßen und er nichts. Der Haß war überwältigend, erzeugte blutfarbene psychedelische Muster vor seinem Auge, verzehrte ihn. Er wollte wieder zurück, zurück, zurück und die Stelle seines jüngeren Ichs einnehmen …
    Seichtem wandte den Kopf zur Seite und übergab sich erneut. Dabei dachte er plötzlich: Das muß ich Ida erzählen!

4
     
    A li hatte Ida in einem Copyshop kennengelernt. Es war Sommer '83, ein Glutsommer, und er hatte gerade erkannt, daß der weitere Verbleib auf der Akademie für ihn etwa so sinnvoll war wie eine Fortführung des Studiums auf einer Blindenschule. Er hatte längst seinen eigenen Stil gefunden, und die einzigen Kontakte, die er dort geknüpft hatte, waren die mit dem bierseligen Hausmeister und einem an der Schwelle zur Demenz stehenden Aktmodell namens Pinky gewesen, über das schon der komplette männliche Teil der Klasse drübergestiegen war. Jedenfalls empfand er es für seine zukünftige Karriere als nicht besonders förderlich, von den lieben Kommilitonen in die Nähe dieser Baskenmützengestalten gerückt zu werden, die für Touristen zum x-tausendsten Male die Notre-Dame auf die Leinwand pinseln.
    Im Frühjahr war er nur noch sporadisch in der Akademie erschienen, aber jetzt in den Ferien hatte er beschlossen, überhaupt nicht mehr hinzugehen. Er wollte sich das nötige Geld zum Überleben mittels gelegentlicher Auftragsarbeiten für Grafikateliers zusammenverdienen. Notfalls würde er irgendwo beim Bau den Hilfsarbeiter markieren. Schließlich war er noch jung, und er glaubte felsenfest daran, daß er es mit seiner Kunst in nicht allzu ferner Zukunft zu etwas bringen würde.
    Um Bewerbungsunterlagen für verschiedene Firmen zu kopieren stand er also an einem Sommervormittag in diesem stickigen Kabuff, das sich durch die warme Abluft der Kopiergeräte in das Innere eines Föns verwandelt hatte. Und dort saß sie, hinter der Kasse, vertieft in Klaus Kinskis Autobiographie »Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund« in einer zerfledderten Taschenbuchausgabe. Sie trug ein sandfarbenes ärmelloses Sommerkleid aus einem dieser dünnen Leinenstoffe, der in Männerschädeln sofort Phantasien darüber auslöst, was sich wohl darunter befinden könnte - am liebsten natürlich nichts als weiche, weiche Haut. Ihr langes schwarzes Haar hing über ihr leicht verschwitztes Gesicht wie ein exotischer Vorhang, hinter dem man die süßesten Geheimnisse erahnen konnte. Sie war klein, aber zierlich klein, so daß leicht Dunstbilder von schwülen Nächten mit einer filigranen Circe aufkamen. Später sollte er erfahren, was für eine herkulische Kraft dieser kleinen Person innewohnte. Trotz der zerbrechlichen Gesamterscheinung verriet ihr Antlitz eine Art frühreifer Weisheit, einen abgeklärten Schalk, als hätten die großen dunklen Augen schon in alle Abgründe geblickt und entschieden, darauf mit mildem Blick und kleinen Lachfalten zu reagieren. Und, was für ein wunderschöner Zufall, sie besaß tatsächlich einen Erdbeermund!
    »Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund«, dachte Ali während er, den atemlosen Fotokopisten über dem Gerät mimend, sie aus den Augenwinkeln betrachtete und ihr Bild genau speicherte. Ja, ja, der irre Kinski hatte schon gewußt, was gut war!
    Aber dann kam auch schon das Ende der Freude, denn er war mit seiner Arbeit fertig. Er bezahlte, und sie schaute nicht einmal auf, als sie ihm das Wechselgeld reichte. Vor der Tür schien die hinreißende Kassiererin nur noch eine vorübergehende reizvolle Ablenkung von der Ungewißheit über seinen künftigen Berufsweg gewesen zu sein. Aber es schien eben nur so! Denn gleichgültig, welche emsigen Pläne er bezüglich der Gestaltung des weiteren Tages auch hegte, der Erdbeermund wollte ihm nicht mehr aus dem Sinn gehen. Dieser Mund, ihn zu berühren, ihn zu küssen, zu schmecken, an ihm zu saugen und …
    Ali machte kehrt und ging wieder in den Laden, ohne eine Vorstellung davon zu besitzen, was er dort anstellen sollte. Und weil ihm auch drinnen nichts Gescheites einfiel, fotokopierte er die Unterlagen, die er schon

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