Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)
unausgesprochene Schande, die Schmach des von seiner Frau lebenden Mannes, versuchte er vergessen zu machen, indem er trotzig und bis zur Erschöpfung ein Müllgemälde nach dem anderen fabrizierte. Aber jedesmal, wenn Ida die Tür hereingestürmt kam und freudestrahlend verkündete, daß sie wieder einmal in letzter Minute die Miete zusammengekratzt hätte, fühlte er sich trotzdem wie eine Null.
Daneben machten sie Bekanntschaften. Mit jungen Menschen, wie sie es selbst waren, allerdings mit ungleich besseren Startbedingungen. Jeder studierte irgendwas. Man kokettierte mit der Rolle des armen Studenten oder des armen Studentenpaares, das im Elend saß zwischen Ikea-Regalen und dem Herd aus dem Secondhandladen. Bloßer Schein, denn erstens warteten hübsche Erbschaften auf sie, zweitens wurden sie schon während ihrer ach so entbehrungsreichen Lehrzeit von Mama und Papa großzügig alimentiert und drittens strebten sie so garantiert vermögensbildende Berufe an, daß sie schon dem Heroin hätten verfallen müssen, um es nicht zu fetten Stützen des Mittelstands zu bringen. Nichtsdestotrotz konnten diese angehenden Spießer es sich nicht verkneifen, ihre Geringschätzung von Alis gegenständlicher Malerei in Andeutungen kundzutun und solche Witz-Postkarten-Größen wie Keith Haring über den grünen Klee zu loben. Ali und Ida waren nämlich wirklich arm, und solange sie es nicht zum Reichtum und zur Berühmtheit gebracht hatten, waren die aus dieser Verbindung hervorgehenden Werke keine Kunst, sondern nur Spinnerei. Zum Glück traf man allerdings auch auf wohlwollenderes Publikum.
Die Bekanntschaft Gaston Beauvilles machte Ali, als er seinen Frust über die fortgesetzte Erfolglosigkeit wie so oft in der übelsten Kneipe der Stadt ertränken wollte und mit noch größerem Frust feststellen mußte, daß es die Kneipe gar nicht mehr gab. Der Laden, der lange Zeit eine Oase für Versager wie seinesgleichen gewesen war, hatte dem Haßobjekt seiner gegenwärtigen Verfassung Platz gemacht. GALERIE B. verkündete nun die Gravur auf einem Messingschild neben der schweren Eichenholztüre, deren Schönheit ihm erst jetzt, nachdem sie einer gründlichen Renovierung unterzogen worden war, auffiel. Anstelle der verlogene Urigkeit verbreitenden Außenverkleidung mit Posthörnern und Schnitzereien von dickbäuchigen, Bierkrüge schwenkenden Mönchen beschieden sich nun zwei schlichte Schaufenster.
Freilich waren dahinter keine minder großen Verbrechen gegen das ästhetische Empfinden zu begutachten. Grellbunte Fratzengemälde, die Schmierereien von Psychotikern glichen, und noch kunterbuntere Leinwände, auf denen allen Ernstes Federn aufgeklebt waren. Seichtem, genau in der Stimmung für einen Koller, stürmte, ohne lange zu überlegen, in die Galerie, fest entschlossen, mit dem Inhaber einen Streit vom Zaun zu brechen. In der Leere drinnen wähnte er immer noch den abgestandenen Bierdunst wahrzunehmen, der ihm von früheren Aufenthalten so vertraut war. Der Geist tausender Säufer ließ sich anscheinend nicht einmal durch eine Radikalumwandlung vertreiben.
Ein paar der Bilder an den Wänden sahen ganz passabel aus. Gemalt von wütenden jungen Männern, wie er selber einer war, vermutete Ali. Aggressive Geschlechtsakte, Szenen von knochenharter Industriemaloche, Porträts von Vätern und Söhnen, deren Konflikte sie in Statuen aus Granit verwandelt zu haben schienen. Aber nichts Besonderes.
Seichtem beruhigte sich allmählich und wußte plötzlich nicht mehr so recht, was er hier überhaupt gewollt hatte. Eigentlich war er doch nur auf Kneipentour.
»Etwas sagt mir, daß Sie Maler sind, Monsieur.«
Ali drehte sich um und blickte auf eine vorzeitig vergreiste Gestalt, die wie durch Zauberei plötzlich im Raum stand. Der kleine Mann in dem rabenschwarzen Anzug vor ihm mochte vielleicht vierzig sein, doch er wirkte wie sechzig. Schlohweiße Haare und kaktusstachelige Bartstoppeln umrahmten ein mediterran olivenfarbenes Gesicht, das so viele Falten aufwies, als bestünde es aus einem Kunststoff mit stark geriffelter Oberfläche. Alle konkaven Partien dieses Gesichts, die Augenhöhlen, die Nasen-Lippen-Furchen, die Mundwinkel, schienen wie bei einer Karikatur vergrößert, so daß man in der Tat von wahren Abgründen sprechen konnte. Der den Fremden aus dunklen Augen musternde Galerist war eingehüllt in Rauchschwaden aus einer Filterlosen, die er in seiner verknöchert wirkenden Hand hielt. Aschepartikel bedeckten das
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