Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)
gar nicht mehr herausgekommen. Eine typische Täuschung in der Retrospektive. Gewiß, an Liebe hatte es in dieser Zeit nicht gemangelt, sie erlebten zahllose Sternstunden der Romantik - ihrer ganz eigenen Romantik: Das Gewürzgurkenschlemmen vor dem Schwarzweißfernseher (wieder einmal hatte es für das Abendessen zu mehr nicht gereicht), dessen Bild so schlecht war, daß man ausgerechnet an den spannendsten Stellen des Krimis wahre Akrobatenkunststücke mit der Zimmerantenne vollführen mußte, bis man dem Ding schließlich wutschäumend den Todestritt verpaßte und sich mit altmodischem Sex als Abendunterhaltung zufriedengab. Oder das Renovieren der winzigen Bruchbude, die sich Wohnung nannte, eine Aktion immer an der Grenze zu einem Mord, weil Ali auf seinem Künstlertum beharrte und sogar die Besenkammer am liebsten in eine Opernkulisse verwandelt hätte, und weil Ida, pathologisch praktisch veranlagt, allen Firlefanz, ja selbst die Hälfte der Möbel dem Sperrmüll anvertrauen wollte. Oder die »Urlaube« am nahe gelegenen Baggersee, die man mit viel Phantasie sowie ein bißchen Rum und Cola zu karibischen Abenteuern umträumte. Oder der Hahn mit dem Riesenkamm, den Ida aus Espartogras geflochten hatte (ihr kleines Hobby) und Ali zum »verflixten 7. Jahr« schenkte. Er kam später im neuen Haus auf eine Kommode vorne ins Eßzimmer.
Sie bauten sich etwas auf. Aber das, was sie sich aufbauten, war weder etwas Materielles noch ein Geschäft, das später erst eine Rendite abwerfen würde. Sie errichteten etwas viel Kostbareres: ein nur für sie zugängliches Archiv der gemeinsamen Erlebnisse, Erinnerungen und der glücklichen Momente. Jedes junge Paar, das entschlossen war, zusammen alt zu werden, baute sich im Kopf so ein Geheimarchiv auf, ohne sich dessen bewußt zu sein. Und auch wenn danach, in der einsetzenden Eiszeit des Alterns, alles in die Brüche ging, wenn nur noch langweilige Wiederholungen ohne Sinn und Geschmack folgten, die prallgefüllten Dateien, die Mikrofilme und die Tonbänder mit den alten Liebesliedern blieben im Geheimarchiv unversehrt. Denn darin wohnte jene Zeit, als man die Zentnerlast des beginnenden Erwachsenenlebens gemeinsam mit jemandem gestemmt hatte, den man liebte, den man immer liebte.
Trotzdem täuschte dieser Blick zurück auch. Sie liebten sich nicht nur den ganzen Tag - sie litten, sie litten schrecklich. Alis Gemälde von zu Zombies geliebten Teddybä ren mit hervorquellender Schaum stoffüllung und ohne die drolligen Knopfaugen verkauften sich nicht gerade berauschend. Um die Wahrheit zu sagen, verkauften sich eigentlich gar nicht. Da heutzutage jeder Dorfdepp den Titel des Künstlers für sich in Anspruch nahm, begegneten die Leute jemandem, der sich Maler nannte, mit äußerstem Mißtrauen und machten seine Echtheit nur am finanziellen Erfolg fest. Deshalb glaubten sie Ali so frech kommen zu dürfen, wie sie es bei jemandem mit kreuzbravem Broterwerb wohl nicht getan hätten. Es bedurfte stets einer Rechtfertigungsarie, wenn er sich auf einer Party als einer aus der malenden Zunft zu erkennen gab und sich darauf Unverschämtheiten wie »Und wovon lebst du so?« oder »Hab noch nie was von dir irgendwo gesehen!« zu hören bekam. Irgendwie kauften sie ihm die Sache mit dem kurz vor dem Durchbruch stehenden Künstler nicht ab und verdächtigten ihn unverhohlen, nichts als ein Faulenzer zu sein, der auf Idas Kosten lebe.
Und, ja, das tat er wirklich! Ida war der einzige Mensch, den er je gekannt hatte, der ausschließlich in der Gegenwart lebte. Ob die Vergangenheit nur Übles gebracht hatte oder ob die Zukunft noch ein paar häßliche Überraschungen in petto hielt, war ihr so einerlei, wie daß die Sonne in fünf Milliarden Jahren erlöschen würde. Sie liebte Ali so, wie er war, und daher machte sie ihr Glück nicht von der Hoffnung abhängig, ob aus ihm jemals eine große Nummer würde, oder von der Befürchtung, was wäre, wenn nicht. Sie war eine quirlige Person und hatte bisweilen fünf Jobs gleichzeitig. Sie arbeitete als Kellnerin, verdingte sich als Verkäuferin in Boutiquen, riß Karten ab im Kino, hütete Kinder für reiche Eltern und füllte die Haushaltskasse zusätzlich noch mit dem Verdienst aus ihren en passant angefertigten kunstvollen Korbflechtereiprodukten auf. Ali nahm hin und wieder, aber immer widerstrebend kleine Aufträge von Grafikateliers entgegen, doch ohne Idas Hilfe wäre er auf seiner Durststrecke zum ersehnten Ziel längst verdurstet. Diese
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