Die Tuer im Schott
haben mich ja nicht vernommen; und, um ehrlich zu sein, ich weiß bis jetzt nicht, ob es richtig gewesen wäre, wenn ich es Ihnen gesagt hätte. Es war so. Ich stand gestern abend am Fenster des Grünen Zimmers – das ist der Raum unmittelbar über der Bibliothek – und blickte hinaus in den Garten, als es geschah. Ich habe alles mit angesehen.«
(Das, fiel Page wieder ein, war die Wahrheit. Als er mit Burrows zu dem Toten hinübergegangen war, hatte er Knowles an einem Fenster oberhalb der Bibliothek stehen sehen.)
»Jeder wird Ihnen bestätigen, daß ich gute Augen habe«, erklärte Knowles stolz. Selbst seine Schuhe knarrten dabei vor Vehemenz. »Ich bin vierundsiebzig Jahre alt, und ich kann das Nummernschild an einem Automobil noch auf zwanzig Schritt Entfernung lesen. Gehen Sie ruhig einmal hinaus in den Garten und nehmen Sie einen Karton oder ein Schild oder sonst etwas mit kleinen Buchstaben …« Er nahm sich zusammen und lehnte sich wieder zurück.
»Sie haben gesehen, wie Sir John Farnleigh sich die Kehle durchschnitt?«
»Jawohl, Sir. So gut wie gesehen.«
»›So gut wie‹? Wie meinen Sie das?«
»Es war so, Sir. Ich konnte nicht wirklich sehen, wie er das – wie er es ansetzte –, denn er stand mit dem Rücken zu mir. Aber ich sah, wie er die Hände hob. Und es war keine Menschenseele in der Nähe. Denn bedenken Sie, ich sah ihn direkt von oben und konnte weit in den Garten blicken. Ich sah die freie Fläche rund um den Teich, gut anderthalb Meter Sandfläche zwischen dem Wasser und der nächsten Hecke. Niemand hätte in seine Nähe kommen können, ohne daß ich es bemerkt hätte. Er stand allein in dieser Fläche, das können Sie mir glauben, und wenn es das letzte ist, was ich sage.«
Noch immer kam aus Dr. Fells Richtung nur das träge, tonlose Pfeifen oder Brummen.
»›Tous les oiseaux du monde‹«, murmelte der Doktor, »›viennent y faire leurs nids …‹« Dann sprach er laut. »Warum sollte Sir John Farnleigh sich umbringen?«
Knowles holte tief Luft.
»Weil er nicht Sir John Farnleigh war, Sir. Der andere Herr ist es. Ich wußte es in dem Augenblick, in dem ich ihn gestern abend erblickte.«
Inspektor Elliot ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.
»Welche Gründe können Sie dafür anführen?«
»Es ist schwer, das so auszudrücken, daß Sie es verstehen, Sir«, erwiderte Knowles mit klagendem Ton. (Und es mußte die erste Impertinenz sein, die ihm je über die Lippen gekommen war.) »Ich bin vierundsiebzig Jahre alt. Ich war kein junger Spund mehr, wenn ich so sagen darf, als der junge Johnny im Jahr 1912 von hier fortging. Und wenn man erst einmal ein gewisses Alter hat, dann kommen einem die Jungen immer gleich vor, auch wenn sie älter werden – ob sie nun fünfzehn oder dreißig oder fünfundvierzig sind. Lieber Himmel, meinen Sie denn, ich hätte Mr. Johnny nicht wiedererkannt, als ich ihn sah? Obwohl!« Wieder vergaß Knowles sich und hob den Finger. »Das soll nicht heißen, daß ich, als der verstorbene Herr herkam und sich als Sir John ausgab, es gleich bemerkt hätte. Nein. Das nicht. Er hat sich verändert, dachte ich. Er ist in Amerika gewesen, und wer von dort zurückkehrt, den erkennt man nicht wieder. Das ist nur natürlich, und ich bin eben nicht mehr der Jüngste. Ich bin nie auf den Gedanken gekommen, daß er nicht der echte Herr sein könnte, obwohl er bisweilen Dinge gesagt hat …«
»Aber …«
»Sie werden vielleicht sagen«, fuhr Knowles mit größtem Ernst fort, »daß ich früher ja nicht im Herrenhaus gearbeitet habe. Das ist wahr. Ich bin erst seit zehn Jahren hier, seit Miss Molly den verstorbenen Sir Dudley bat, mir diese Ehre zu gewähren. Doch als ich noch in Diensten von Colonel Mardale war, war der junge Mr. Johnny oft in dem großen Obstgarten, der zwischen dem Anwesen des Colonels und des Majors lag …«
»Welcher Major?«
»Major Dane, Sir, Miss Madelines Vater; er und der Colonel waren gute Freunde. Nun, der junge Mr. Johnny hatte diesen Obstgarten gern, und den Wald dahinter. Der Garten ist gleich am Hanging Chart – geht in ihn über, könnte man sagen. Er hat gespielt, er sei ein Zauberer, ein Ritter und was es sonst noch alles gewesen sein mag; manchmal tat er Dinge, die ich nicht gern sah. Jedenfalls wußte ich gestern abend, lange bevor er nach Kaninchen und dergleichen fragte, daß dieser Herr der wahre Mr. Johnny war. Und er hatte gespürt, daß ich es wußte. Deshalb rief er mich ins Zimmer. Aber
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