Die Tuer im Schott
frühviktorianischer Lehnstuhl war hineingezwängt – und die Hexe schien sie beinahe anzuspringen, als der Strahl von Elliots Taschenlampe sie traf.
Selbst Elliot zuckte ein wenig zurück. Die Alte war keine Schönheit. Früher mochte sie etwas Verführerisches gehabt haben, doch nun blickte das eine verbliebene Auge sie aus einem halben Gesicht an; die andere Seite des Kopfes war schwer beschädigt, das ehemals gelbe Kleid ganz zergangen. Und die Risse in dem, was vom Gesicht blieb, machten sie nicht attraktiver.
Aufgerichtet wäre sie knapp lebensgroß gewesen. Sie saß auf einer länglichen Kiste, einst bemalt und vergoldet, daß sie wie ein Sofa wirken sollte, aber nicht viel tiefer und breiter als die Figur selbst, und der ganze Automat stand auf Rädern, die offensichtlich später hinzugefügt waren. Mit einer groben und ganz und gar grauenerregenden Koketterie streckte sie die Hände dem Betrachter halb entgegen. Die wuchtige, gedrungene Maschine mußte gut ihre zwei oder drei Zentner wiegen.
Madeline stieß eine Art Kichern aus, nervös oder erleichtert. Elliot brummte, Dr. Fell fluchte.
»Bei den Schatten von Udolpho !« rief der Doktor. »Ist das eine Enttäuschung?«
»Sir?«
»Sie wissen doch, was ich meine. Kann man sich denn vorstellen, daß das Mädel, das neugierig war, was in Blaubarts Kammer war, das Ding hier zum erstenmal sah und …« Er pustete, daß die Schnurrbartspitzen flogen. »Nein. Nein, das reicht nicht.«
»Ich fürchte auch«, stimmte Elliot nüchtern zu. »Falls überhaupt etwas hier drin geschehen ist. Wie soll sie denn überhaupt hier hereingekommen sein? Wer hat sie nach unten gebracht? Wo bekam sie das Heft mit den Fingerabdrücken her? Aber so oder so – keiner kann mir erzählen, daß der bloße Anblick von dem Ding hier sie so mitgenommen hat, wie es ja anscheinend der Fall ist. Sie hätte vielleicht geschrien oder so etwas. Es hätte ihr einen ordentlichen Schrecken eingejagt. Aber nichts in dieser Größe, wenn sie nicht vorher schon hysterisch war. Lady Farnleigh, wußte die Dienerschaft, daß die Puppe hier drin war?«
»Aber ja«, antwortete Molly. »Keiner hat sie gesehen, außer Knowles und vielleicht Mrs. Apps, aber alle wissen, daß sie hier ist.«
»Es hätte sie also nicht einmal überrascht?«
»Nein.«
»Wenn, sage ich, etwas in dieser engen Kammer sie erschreckt hätte – wofür wir nicht den geringsten Beweis haben …«
»Wie wäre es hiermit?« sagte Dr. Fell und zeigte mit seinem Stock darauf.
Der Lichtstrahl fuhr den Sockel des Automaten entlang. Er fand ein Wäschebündel, das sich, als Elliot es aufhob, als eine zerknüllte rüschenbesetzte Hausmädchenschürze erwies. Obwohl sie frisch gewaschen war, waren Staub- und Schmutzflecken darauf, und sie war mit zwei kurzen, zackigen Rissen eingerissen. Dr. Fell nahm sie dem Inspektor aus der Hand und reichte sie Molly.
»Bettys?« fragte er.
Molly untersuchte ein winziges Schildchen am Saum der Schürze, auf dem ein noch winzigerer Name geschrieben stand, und nickte.
»Warten Sie einen Moment«, bat Dr. Fell und schloß die Augen. Er ging vor der Tür auf und ab und preßte sich den Zwicker auf die Nase, als fürchte er, daß er herunterfiele. Als er die Hand wieder fortnahm, blickte er finster und streng. »Nun denn. Ich will es Ihnen verraten, mein Junge. Ich kann es nicht beweisen, genausowenig wie ich die Sache mit dem Apfel und dem Dachboden nebenan beweisen könnte. Aber ich kann Ihnen sagen, was in diesem Bücherkabinett geschehen ist; ich sehe es so deutlich vor mir, als sei ich dabeigewesen. Was wir hier machen, ist längst keine Routinearbeit mehr – es ist jetzt das Wichtigste überhaupt, daß wir genau bestimmen, wann genau zwischen Mittag und vier Uhr nachmittags dies Mädchen sich so sehr erschrak und was alle anderen zu jenem Zeitpunkt getan haben.
Denn der Mörder, mein Junge, war hier drin – hier in dieser Bücherkammer. Betty Harbottle ist ihm hier begegnet. Ich weiß nicht, was der Mörder hier tat; aber ihm lag alles daran, daß keiner erfuhr, daß er hier war. Etwas geschah. Später nahm er die Schürze des Mädchens und wischte damit Fuß- oder Fingerabdrücke fort, oder was es sonst an Spuren hier in dem Staub gegeben haben mag. Er trug oder zerrte sie nach unten. Er drückte ihr das nutzlose Heft in die Hand, das er am Abend zuvor gestohlen hatte. Und dann machte er sich davon, wie Mörder es eben tun, und ließ die Schürze hübsch am Boden
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