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Die Türme der Mitternacht

Die Türme der Mitternacht

Titel: Die Türme der Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jordan
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legte sie in einen kleinen Backkasten aus Keramik, den sie zwischen die Scheite schob. Aviendha hatte gar nicht bemerkt, dass das Feuer so warm geworden war. Wo war das viele Holz hergekommen?
    »Ihr erscheint besorgt«, sagte Nakomi. »Es steht mir nicht zu, eine angehende Weise Frau zu befragen. Aber ich lese Sorgen in Eurem Blick.«
    Aviendha unterdrückte eine Grimasse. Sie hätte es vorgezogen, in Ruhe gelassen zu werden. Aber sie hatte diese Frau eingeladen, ihr Wasser und ihren Schatten zu teilen. »Ich sorge mich um unser Volk. Gefährliche Zeiten stehen an.«
    »Die Letzte Schlacht«, sagte Nakomi leise. »Die Sache, von denen die Feuchtländer sprechen.«
    »Ja. Aber meine Sorgen gehen darüber hinaus. Die Feuchtländer korrumpieren unser Volk. Verweichlichen es.«
    »Aber die Feuchtländer sind doch Teil unseres Schicksals, oder? Die Dinge, die der Car’a’carn angeblich enthüllt hat… sie verbinden uns auf seltsame Weise mit den Feuchtländern. Immer vorausgesetzt, er hat die Wahrheit gesprochen.«
    »Darüber würde er nicht lügen«, sagte Aviendha.
    Ein kleiner Schwarm Bussarde flog krächzend durch die dunkle Nachtluft. Die Geschichte von Aviendhas Volk bereitete vielen Aiel noch immer Kummer - die Dinge, die Rand al’Thor enthüllt hatte. In Rhuidean würde Aviendha diese Geschichte bald mit eigenen Augen sehen: dass die Aiel ihre Eide gebrochen hatten. Einst war Aviendhas Volk dem Weg des Blattes gefolgt, hatte ihn dann aber aufgegeben.
    »Ihr stellt interessante Fragen, Lehrling«, sagte Nakomi und schenkte den Tee ein. »Man nennt unser Land das Dreifache Land, denn es tat drei Dinge für uns. Es bestrafte uns für unsere Sünden. Es stellte unseren Mut auf die Probe. Es bildete einen Amboss, um uns zu formen.«
    »Das Dreifache Land machte uns stark. Wenn wir es also verlassen, werden wir schwach.«
    »Aber wenn wir herkommen mussten, um zu etwas Starkem geschmiedet zu werden«, meinte Nakomi, »bedeutet das dann nicht, dass die Prüfungen, denen wir uns in den Feuchtlanden stellen mussten, nicht genauso gefährlich wie das Dreifache Land waren? So gefährlich und schwierig, dass wir herkommen mussten, um uns auf sie vorzubereiten?« Sie schüttelte den Kopf. »Ah, aber ich sollte nicht mit einer Weisen Frau debattieren, nicht einmal einem Lehrling. Ich lade Toh auf mich.«
    »Weise Worte auszusprechen bringt niemals Toh. Sagt mir, Nakomi, wo reist Ihr hin? Zu welcher Septime gehört Ihr?«
    »Ich bin weit von meinem Dach entfernt«, sagte die Frau wehmütig. »Vielleicht ist es auch weit von mir entfernt. Ich kann Eure Frage nicht beantworten, Lehrling, denn es steht mir nicht zu, diese Wahrheit auszusprechen.«
    Aviendha runzelte die Stirn. Was sollte das denn bedeuten?
    »Ich bin eigentlich der Ansicht, dass unser Volk großes Toh erlangt hat, weil es den Eid brach, keine Gewalt anzuwenden«, fuhr Nakomi fort.
    Aviendha nickte. Was tat man, wenn sein ganzes Volk etwas so Schreckliches getan hatte? Diese Erkenntnis hatte so viele Aiel veranlasst, sich der Trostlosigkeit hinzugeben. Sie hatten sich in ihre Speere geworfen oder sich geweigert, die weiße Kleidung der Gai’schain abzulegen. Damit wollten sie verkünden, dass ihr Volk so großes Toh hatte, dass sich das niemals wieder ins Reine bringen lassen würde.
    Aber sie irrten sich. Das Toh der Aiel konnte erbracht werden - es musste erbracht werden. Genau aus diesem Grund diente man dem Car’a’carn, dem Repräsentanten derjenigen, denen die Aiel ursprünglich ihre Eide geleistet hatten.
    »Wir werden unser Toh erbringen«, sagte Aviendha. »Indem wir in der Letzten Schlacht kämpfen.«
    So würden die Aiel ihre Ehre zurückerhalten. Sobald man sein Toh erbracht hatte, vergaß man es. Sich an einen Fehler zu erinnern, für den man bezahlt hatte, war arrogant. Sie würden fertig sein. Sie konnten zurückkehren und würden nicht länger Scham für die Ereignisse der Vergangenheit verspüren. Aviendha nickte.
    »Und so«, sagte Nakomi und reichte ihr eine Tasse Tee, »war das Dreifache Land unsere Strafe. Wir kamen her, um zu wachsen, damit wir unser Toh begleichen konnten.«
    »Ja«, sagte Aviendha. Ihr war das völlig klar.
    »Wenn wir also für den Car’a’carn gekämpft haben, dann haben wir dieses Toh beglichen. Und darum wird es dann keinen Grund mehr geben, noch länger bestraft zu werden. Aber wenn das der Fall ist, warum sollten wir dann in dieses Land zurückkehren? Wäre das nicht so, als würde man noch länger bestraft

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