Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Türme der Mitternacht

Die Türme der Mitternacht

Titel: Die Türme der Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jordan
Vom Netzwerk:
gezeigt hatte, konnte sie sich noch erinnern. Es waren nur ein paar Bruchstücke hängen geblieben. Das Wissen, dass sie Rand lieben würde, dass sie Schwesterfrauen haben würde. Das Wissen enthielt auch den Eindruck, dass sie hierher zurückkehren würde, nach Rhuidean. Das hatte sie gewusst, obwohl erst das Betreten dieses Platzes einige dieser Erinnerungen wieder zum Leben erweckt hatten.
    Mit untergeschlagenen Beinen setzte sie sich zwischen zwei der riesigen Wurzeln. Die leichte Brise war beruhigend, die Luft trocken und vertraut, und der staubige Geruch des Dreifachen Landes erinnerte sie an ihre Kindheit.
    Ihr Gang zwischen den Säulen war auf jeden Fall eine tiefgehende Erfahrung gewesen. Sie hatte erwartet, den Ursprung der Aiel mitzuerleben, vielleicht sogar Zeuge des Tages zu werden, als sie als Volk entschieden hatten, zu den Speeren zu greifen und zu kämpfen. Sie hatte mit einer noblen Entscheidung gerechnet, wo die Ehre die vom Weg des Blattes diktierte primitive Lebensweise überkam.
    Es hatte sie überrascht, wie banal und beinahe zufällig das Ereignis tatsächlich gewesen war. Keine großen Entscheidungen; nur ein Mann, der nicht zusehen wollte, wie man seine Familie ermordete. In dem Wunsch andere zu verteidigen lag Ehre, aber er war diese Entscheidung nicht mit Ehre angegangen.
    Sie legte den Kopf gegen den Baumstamm. Die Aiel verdienten ihre Bestrafung im Dreifachen Land, und als Volk schuldeten sie den Aes Sedai Toh. Sie hatte alles gesehen, was sie erwartet hatte. Aber viele der Dinge, die sie zu erfahren gehofft hatte, hatten gefehlt. Aiel würden diesen Ort noch für Jahrhunderte besuchen, so wie sie es schon seit Jahrhunderten taten. Und jeder von ihnen würde etwas erfahren, das mittlerweile Allgemeingut war.
    Das machte ihr sehr zu schaffen.
    Sie schaute nach oben und sah den Ästen zu, wie sie sich in der Brise bewegten; ein paar Blätter lösten sich und schwebten zu ihr herunter. Eines streifte ihre Wange, bevor es auf ihrem Schultertuch liegen blieb.
    Die Passage durch die Glassäulen war einfach keine Herausforderung mehr. Dieses Ter’angreal war ursprünglich eine Prüfung gewesen. Konnte sich der potenzielle Anführer den dunkelsten Geheimnissen der Aiel stellen und sie akzeptieren? Als Tochter war Aviendha an Körper und Kraft auf die Probe gestellt worden. Eine Weise Frau zu werden stellte gefühlsmäßig und geistig auf die Probe. Aber diese Prüfung gab es jetzt nicht mehr.
    Sie gelangte zusehends zu der Überzeugung, dass es Unsinn war, Traditionen um der Tradition willen zu bewahren. Gute Traditionen - starke Aieltraditionen - lehrten den Weg des ji’e’toh, die Methoden des Überlebens.
    Seufzend stand Aviendha auf. Der Säulenwald sah aus wie die seltsamen Stangen aus gefrorenem Wasser, die sie während des Winters in den Feuchtlanden gesehen hatte. Eiszapfen, so hatte Elayne sie genannt. Die hier wuchsen vom Boden in die Höhe und zeigten zum Himmel, stellten Dinge der Schönheit und der Macht dar. Es war traurig, mit ansehen zu müssen, wie sie ihre Bedeutung verloren.
    Aviendha kam ein Gedanke. Vor ihrem Aufbruch in Caemlyn hatten sie und Elayne eine erstaunliche Entdeckung gemacht. Bei ihr hatte sich ein Talent in der Einen Macht manifestiert: die Fähigkeit, Ter’angreale identifizieren zu können. Konnte sie genau bestimmen, was die Glassäulen eigentlich taten? Sie waren doch sicher nicht speziell für die Aiel erschaffen worden, oder doch? Die meisten Gegenstände mit großer Macht waren uralt. Man würde die Säulen im Zeitalter der Legenden erschaffen und dann dazu eingerichtet haben, den Aiel ihre wahre Vergangenheit zu zeigen.
    Sie wussten so wenig über Ter’angreale. Hatten die alten Aes Sedai sie wirklich verstanden, so wie sie genau wusste, wie ein Bogen oder ein Speer funktionierte? Oder hatten sie selbst über die Gegenstände gerätselt, die sie da erschufen? Die Eine Macht war so wunderbar, so geheimnisvoll, dass sich Aviendha manchmal selbst bei der Erschaffung vertrauter Gewebe wie ein Kind fühlte.
    Sie stellte sich vor die nächste Glassäule, achtete aber darauf, dabei den Kreis nicht zu betreten. Falls sie eine der Säulen berührte, vielleicht würde ihr Talent sie ja etwas aus ihr herauslesen lassen. Mit Ter’angrealen zu experimentieren war gefährlich, aber sie hatte ihre Herausforderung bereits unbeschadet hinter sich gebracht.
    Zögernd streckte sie die Hand aus und legte die Finger auf die glatte, glasige Oberfläche. Die Säule war

Weitere Kostenlose Bücher