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Die Türme der Mitternacht

Die Türme der Mitternacht

Titel: Die Türme der Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jordan
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Schritt von den Glassäulen, und nichts passierte. Verstört verließ sie den Platz.
    Dann verlangsamte sie ihre Schritte.
    Zögernd drehte sie sich wieder um. Die Säulen erhoben sich stumm und allein im schwindenden Licht und schienen mit einer unsichtbaren Energie zu summen.
    Gab es da noch mehr?
    Diese eine Vision schien so gar nichts mit den anderen zu tun zu haben, die sie erlebt hatte. Wenn sie sich wieder unter die Säulen wagte, würde sich dann wiederholen, was man ihr zuvor gezeigt hatte? Oder … hatte sie womöglich mit ihrem Talent etwas verändert?
    In den Jahrhunderten seit der Gründung von Rhuidean hatten diese Säulen den Aiel gezeigt, was sie über sich wissen mussten. Dafür hatten die Aes Sedai gesorgt, nicht wahr? Oder hatten sie das Ter’angreal einfach dort aufgebaut und ihm erlaubt zu tun, was es wollte, in dem Wissen, dass es für Weisheit sorgen würde?
    Aviendha lauschte dem Rascheln der Blätter. Diese Säulen waren eine Herausforderung, und zwar so sicher wie ein feindlicher Krieger mit dem Speer in der Hand. Wenn sie sich erneut zwischen sie begab, kam sie womöglich nie wieder heraus; niemand besuchte dieses Ter’angreal ein zweites Mal. Das war verboten. Ein Gang durch die Ringe, einer durch die Säulen.
    Aber sie war gekommen, um Wissen zu finden. Und sie würde nicht ohne dieses Wissen gehen. Sie holte tief Luft und trat an die Säulen heran.
    Dann machte sie den nächsten Schritt.
     
    Sie war Norlesh. Sie drückte ihr jüngstes Kind an die Brust. Ein trockener Wind zupfte an ihrem Schultertuch. Garivan, der Säugling, fing an zu wimmern, aber sie beruhigte ihn, während ihr Ehemann mit den Außenweltlern sprach.
    In der Nähe erhob sich ein Dorf der Außenweltler, eine Reihe Hütten am Fuß der Berge. Sie trugen gefärbte Kleidung und seltsam geschnittene Hosen mit Hemden, die man zuknöpfte. Sie waren für das Erz gekommen. Wie konnten Steine nur so wertvoll sein, dass sie auf dieser Seite der Berge lebten, weit fort von ihrem sagenhaften Land voller Wasser und Nahrung? Fort von ihren Häusern, in denen Licht ohne Kerzen brannte und ihre Karren ohne Pferde fuhren?
    Ihr Schultertuch rutschte, und sie zog es hoch. Sie brauchte ein neues; das hier war sehr fadenscheinig, und sie hatte kein Garn mehr, um es zu flicken. Garivan wimmerte auf ihrem Arm, und ihr einziges ebenfalls überlebendes Kind - Meise - klammerte sich an ihren Röcken fest. Meise hatte nun schon seit Monaten kein Wort mehr gesprochen. Nicht seitdem ihr älterer Bruder am Hunger gestorben war.
    »Bitte«, sagte ihr Ehemann - Metalan - zu den Außenweltlern. Es waren drei von ihnen, zwei Männer und eine Frau, die alle Hosen trugen. Robuste Leute, gar nicht wie die anderen Fremden mit ihren feinen Zügen und der viel zu empfindlichen Seide, die sie am Leib trugen. Die Erleuchteten, richtig, so nannten sich diese anderen manchmal. Die drei hier waren gewöhnlicher.
    »Bitte«, wiederholte Metalan. »Meine Familie …«
    Er war ein guter Mann. Oder war es zumindest gewesen, als er noch stark und gesund gewesen war. Jetzt erschien er nur noch wie die Hülle eines Mannes, hatte eingefallene Wangen. Seine einst so strahlenden blauen Augen starrten nun häufig ins Leere. Von Erinnerungen heimgesucht. Dieser Blick kam daher, weil er drei seiner Kinder im Verlauf von achtzehn Monaten hatte sterben sehen. Obwohl Metalan einen Kopf größer als die Außenweltler war, schien er vor ihnen zu kriechen.
    Der Anführer - ein Mann mit einem buschigen Bart und großen ehrlichen Augen - schüttelte den Kopf. Er gab Metalan den Sack mit den Steinen zurück. »Die Rabenkaiserin, möge sie ewig atmen, verbietet es. Kein Handel mit Aiel. Wir könnten schon unseren Freibrief verlieren, nur weil wir mit euch sprechen.«
    »Wir haben nichts zu essen«, sagte Metalan. »Meine Kinder verhungern. Diese Steine enthalten Erz. Ich weiß, dass ihr genau danach sucht. Ich habe Wochen damit verbracht, sie einzusammeln. Gebt uns etwas zu essen. Irgendetwas. Bitte.«
    »Es tut mir leid, mein Freund«, sagte der Anführer der Außenweltler. »Das ist den Ärger mit den Raben nicht wert. Geht weiter. Wir wollen keinen Zwischenfall.« Hinter ihnen kamen mehrere Außenweltler dazu; einer trug eine Axt, zwei andere hatten Zischstäbe.
    Ihr Mann sackte in sich zusammen. Tagelanges Wandern, wochenlanges Suchen nach den Steinen. Für nichts. Er drehte sich um und kam zu ihr zurück. In der Ferne ging die Sonne unter. Sobald er sie erreicht hatte, schlossen

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