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Die Türme der Mitternacht

Die Türme der Mitternacht

Titel: Die Türme der Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jordan
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sie und Meise sich ihm an und entfernten sich vom Lager der Außenweltler.
    Meise fing an zu schnaufen, aber keiner von ihnen hatte den Willen oder die Kraft, sie zu tragen. Etwa eine Stunde von dem Lager entfernt fand ihr Mann eine Senke in einem Felsmassiv. Dort setzten sie sich, machten aber kein Feuer. Es gab nichts zu verbrennen.
    Norlesh wollte weinen. Aber … es erschien so schrecklich schwer, überhaupt etwas zu empfinden. »Ich bin so hungrig«, flüsterte sie.
    »Morgen früh fange ich was«, sagte ihr Ehemann und starrte zu den Sternen hinauf.
    »Wir haben schon seit Tagen nichts mehr gefangen«, sagte sie.
    Er antwortete nicht.
    »Was sollen wir nur tun?«, flüsterte sie. »Seit den Tagen meiner Großmutter Tava konnten wir kein Heim mehr für unsere Leute bewahren. Versammeln wir uns, greifen sie uns an. Wandern wir durch die Wüste, sterben wir. Sie treiben keinen Handel mit uns. Sie lassen uns nicht die Berge überqueren. Was sollen wir tun?«
    Seine Erwiderung bestand darin, sich hinzulegen und ihr den Rücken zuzukehren.
    Da kamen ihre Tränen, stumm und schwach. Sie rollten ihre Wangen hinunter, während sie das Hemd öffnete, um Garivan zu stillen, obwohl sie keine Milch für ihn hatte.
    Er bewegte sich nicht. Er saugte sich nicht an ihr fest. Sie hob seine kleine Gestalt in die Höhe und erkannte, dass er nicht mehr atmete. Irgendwann auf dem Weg zur Senke war er gestorben, ohne dass sie es gemerkt hatte.
    Das Erschreckendste daran war, wie schwer es ihr fiel, Trauer für seinen Tod zu empfinden.
     
    Aviendhas Fuß berührte die Steinplatte. Um sie herum schimmerte der Wald aus Glassäulen in prismatischen Farben. Es war, als stünde man mitten in einer Vorstellung der Feuerwerker. Die Sonne stand hoch am Himmel, die Wolkendecke war erstaunlicherweise verschwunden.
    Sie wollte den Platz für immer verlassen. Auf das Wissen, dass die Aiel einst dem Weg des Blattes gefolgt waren, war sie vorbereitet gewesen. Dieses Wissen war nicht besonders schlimm. Schließlich würden sie bald ihr To h erfüllen.
    Aber das hier? Diese versprengten und gebrochenen Elendsgestalten? Leute, die nicht für sich eintraten, die bettelten, die nicht wussten, wie man im Land überlebte? Das Wissen, dass das ihre Vorfahren waren, war eine beinahe unerträgliche Schande. Es war gut, dass Rand al’Thor den Aiel diese Vergangenheit nicht enthüllt hatte.
    Konnte sie fliehen? Von diesem Platz weglaufen und nicht mehr erfahren? Sollte es noch schlimmer werden, würde die Schande sie überwältigen. Leider wusste sie genau, dass hier nur einen Weg herausführte, jetzt, nachdem sie ihn begonnen hatte.
    Mit zusammengebissenen Zähnen machte sie den nächsten Schritt.
     
    Sie war Tava, vierzehn Jahre alt. Sie lief schreiend in die Nacht hinaus, fort von ihrem brennenden Haus. Das ganze Tal - eigentlich war es eine Schlucht mit steilen Wänden - stand in Flammen. Jedes Gebäude in der erst kürzlich gegründeten Festung war in Brand gesteckt worden. Albtraumhafte Kreaturen mit biegsamen Hälsen und breiten Schwingen flatterten durch die Nacht und trugen Reiter mit Bögen, schweren und seltsamen neuen Waffen, die beim Schießen zischende Geräusche machten.
    Tava schrie und suchte nach ihrer Familie, aber in der Festung herrschte nur Chaos und Verwirrung. Ein paar Aiel-Krieger leisteten Widerstand, aber jeder, der den Speer hob, fiel nur Augenblicke später, getötet von einem Pfeil oder einem der unsichtbaren Schüsse aus diesen neuen Waffen.
    Vor ihr starb ein Aielmann, und seine Leiche rollte über den Boden. Sein Name war Tadvishm gewesen, ein Steinhund. Das war eine der wenigen Gemeinschaften, die noch an einer Identität festhielten. Die meisten Krieger gehörten nicht länger einer Gemeinschaft an; sie wurden Bruder oder Schwester von jenen, mit denen sie gerade lagerten. Viel zu oft wurden diese Lager sowieso in alle Himmelsrichtungen verstreut.
    Diese Festung hatte anders sein sollen, sie war geheim gewesen, hatte tief in der Wüste gelegen. Wie hatten ihre Feinde sie finden können?
    Ein nur zwei Jahre altes Kind weinte. Sie rannte zu ihm und riss es auf die Beine, da es in der Nähe der Flammen lag. Ihre Häuser brannten. Das Holz war unter großen Schwierigkeiten in den Bergen am Ostrand der Wüste zusammengestohlen worden.
    Sie hielt das Kind an den Körper und rannte auf die Kluft in der Schlucht zu. Wo war ihr Vater? Mit einem plötzlichen Rascheln landete eine der Albtraumkreaturen vor ihr, und der Windstoß

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