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Die Türme von Toron

Die Türme von Toron

Titel: Die Türme von Toron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R. Delany
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zwei Meter fünfzig trat ein. An seiner linken Gesichtsseite zogen sich drei häßliche Narben über die Wange bis hinunter zum Hals. »Wann brechen wir auf?« fragte Arkor. Die Dreifachnarbe war das Brandmal der Telepathen unter den hochgewachsenen Waldmenschen des Festlandes.
    »Heute abend«, erwiderte Petra.
    »Du nimmst Tel und Alter mit«, sagte Arkor. Es war eine Feststellung, keine Frage.
    Jon runzelte die Stirn. »Wirklich, Petra?«
    »Wir werden meinem Vetter, dem König, gemeinsam einen Besuch abstatten. Wir erhielten eine Warnung.
    Der Herr der Flammen treibt erneut sein Unwesen auf der Erde.«
    »Vor drei Jahren haben wir ihn quer durch das Universum vertrieben«, murmelte Jon.
    »Das müssen wir vielleicht noch einmal.«
     
    Lachsfarbige Wolkenstreifen zogen sich wie flatternde Haarsträhnen über den Himmel. Roter Schein funkelte auf dem glänzenden Messing der Reling. Wellen spülten gegen die Seiten der Jacht. »Alle sind an Bord«, meldete Jon der Herzogin.
    »Dann können wir ablegen.« Sie drehte sich um und erteilte den entsprechenden Befehl. Als die Dunkelheit den Himmel überzog und die Sterne wie Brillantnadeln in die nächtliche Schwärze stachen, lehnten Jon und Petra sich an die Reling. »Irgendwo dort draußen wütet der Krieg. In welcher Richtung?« fragte sie.
    »Wer weiß?« Jon deutete auf den Horizont. »Irgendwo jenseits der Strahlungsbarriere, irgendwo in der Düsternis unseres Planeten.«
    Der Ruf »Toron voraus« unterbrach ihre Unterhaltung. »Wir sind gleich da«, sagte Petra. Beide blickten über den Bug.
    Man stelle sich eine schwarze Hand vor, deren Finger dicht mit Ringen besteckt sind: Brillanten um Brillanten neben Amethysten, Türkisen, Rubinen. Und nun stelle man sich diese Hand vor, wie sie sich allmählich über den mitternächtlichen Horizont erhebt und jeder der Edelsteine in seinem inneren Feuer erglüht. So reckt sich die Insel Toron aus der See.
     
    Die Fenster des großen Ballsaals im königlichen Palast reichten bis zur Decke des hohen Raumes. Als sie Lichter dahinter erglühten, bliesen die Musiker auf ihren Muschelhörnern eine Weise, dem sanften Rauschen des Meeres gleich. Smaragd- und korallenfarbige Schleier wehten über die Rücken der Frauen, die sich in den Armen purpur- und rotgekleideter Männer drehten.
    Aus dem Laborturm des Palasts sprang das dunkle Transitband in die Nacht und verschwand zwischen den Türmen der Stadt, ehe es sich über das Meer schwang, über die Festlandküste, über den Wald aus saftigen Titanenpalmen und den mutierten Nachkommen der Eiche, die zu einer fünfhundert Jahre in der Vergangenheit liegenden Erde gehört hatte. Danach zog es sich über die Minenanlage, wo die Strafgefangenen Tetron abbauten, und weiter über eine Ebene, auf der sich erst seit den vergangenen drei Jahren noch kärglicher Pflanzenbewuchs aus der Erde wagte, und schließlich hinein in die Festlandstadt Telphar. Telphar, das in den letzten drei Jahren zu dem stärksten Militärstützpunkt ausgebaut worden war, den die Erde je gekannt hatte. So zumindest behaupteten die Generale voll Stolz.
    »Ein Ball am frühen Morgen!« rief ein junges Mädchen in rubinroter Seide. Die Schulterdrapierung ihres Kleides wurde von einem Kupferhummer gehalten, dessen gehämmerter Schwanz sich um ihre rechte Brust wand. »Finden Sie einen Ball im Morgengrauen nicht auch wundervoll?«
    Die nicht mehr so junge Frau neben ihr preßte die schmalen Lippen zusammen, dann sagte sie leise: »Ich erinnere mich noch, als Bälle etwas wirklich Vornehmes waren und die Gastgeber ihren guten Geschmack walten ließen. Aber sehen Sie sich das an!« Mit dem Kopf, dessen Silberperücke mit Perlschnüren durchflochten war, deutete sie auf das Tablett des Dieners, der gerade Hors d’œuvres anbot. »Der Fisch dort kommt aus den Aquarien! Stellen Sie sich das vor! Aquarienfisch bei einem königlichen Ball! Das hätte es früher nicht gegeben! Es wurden nur vom Festland importierte Delikatessen serviert.«
    »Ich kenne auch jetzt noch keinen Unterschied zwischen See- und Aquarienfisch«, erwiderte das Mädchen lakonisch und kaute an einem Sandwich.
    Die Frau mit der Silberperücke rümpfte die Nase.
    Jon Koshar schlenderte an ihnen vorbei durch den riesigen Saal und warf einen flüchtigen Blick auf die beiden Waldwächter, Giganten aus Toromons großem Festlandwald. Ein paar Schritte von ihnen entfernt unterhielten sich drei gedrungene Repräsentanten der Neoneandertaler-Stämme. Sie trugen

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