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Die Türme von Toron

Die Türme von Toron

Titel: Die Türme von Toron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R. Delany
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gegen ihn gewehrt, und sein Ärger hatte ihn momentan überschwemmt.
     
    Eine Strafgefangene, die aus dem Schacht trat, spuckte auf die Fußabdrücke eines Aufsehers, der ihr den Rücken zugedreht hatte. Dann runzelte sie die Stirn. Ihr fiel ihr älterer Bruder ein, wie er vor Jahren von ihr fort einen dunklen Korridor entlanggegangen war, während sie sich in eine Ecke gedrückt hatte und ihr die Tränen über das Gesicht geströmt waren. Plötzlich verstand sie diese Tränen.
     
    Ratsmitglied Servin drückte den Absatz kräftig gegen das Stuhlbein. Sein Blick wanderte in der Ratskammer von einem Gesicht zum anderen, und er dachte: So hart und verständnislos wie das Gesicht meines Onkels, als er mich damals aus meinem Zimmer holen ließ und mich vor der ganzen Familie beschuldigte, seinen besten Wein aus dem Keller entwendet zu haben. Obgleich ich wirklich schuldlos war, war ich stumm vor Angst. Aus Strafe ignorierte mich meine Familie eine ganze Woche. Niemand redete zu mir, und ich mußte meine Mahlzeiten allein einnehmen. Und nun wußte er, was ihn damals vom Sprechen abgehalten hatte.
     
    Jenseits von Toromon hob ein Rekrutierungsoffizier abrupt den Schreiber von dem Anmeldeformular, und zur gleichen Zeit nahm der Neandertaler ihm gegenüber die Hand zurück, die er bereits ausgestreckt hatte, um zu unterschreiben. Die beiden starrten einander an, und jeder erkannte plötzlich die Wahrheit über den Krieg.
     
    Alter saß im Palastgarten auf einer Marmorbank zwischen den Clowns und Artisten. Der Wind, der über das Gras und durch das Laub strich, spielte mit ihrem langen weißen Haar. Ihre Finger betasteten die auf dem Lederband aufgereihten Muscheln, angefangen von der milchigen mit den goldenen Streifen, zu der aus makellosem Perlmutt, bis zu der, die mit roten Adern durchzogen war. Sie dachte: Ph, er versuchte es, er versuchte ein Stück von mir in diesen schrecklichen Traum hineinzunehmen und sich zurück in die Wirklichkeit zu träumen – so wie ein anderer träumte, das Gesicht seiner Mutter befände sich immer am Grund einer bestimmten Steinart; und wieder ein anderer, daß er sich mit seinem toten Vater unterhalten könne, wenn der Wind die kahlen Bäume schüttle; und ein weiterer, der alle Schönheit und Liebe in einem flammenden Figürchen fand, das in seinen Fingern tanzte. »Aber er wußte es nicht, er wußte es nicht …«, murmelte sie.
     
    »Wie konntest du es wissen?« fragte Jon.
    Clea fuhr mit der Hand über die polierte Tischplatte, ehe sie die Ratsmitglieder ansah. »Weil ich am Computer arbeitete. Weil ich aus den Berichten über die Umstellung des Transitbands wußte, daß die Sache gar nicht so schnell gehen konnte. Weil es einen minimalen Fehler in der Berechnung der Arbeitskondensationstheorie aufgrund eines Druckfehlers gab, der den ganzen Prozeß unmöglich gemacht hätte, der jedoch außer mir niemandem auffiel. Weil ich die wirtschaftliche Lage Torons kannte und wußte, daß sie einen viel zu großen Überschuß erreicht hatte und über zu wenig Mobilität verfügte, was nur Krieg bedeuten konnte. Und aus einem Dutzend anderer Dinge, die nur diese einzig mögliche Antwort zuließen. Weil angenommen wurde, daß der Krieg eine solche Wirklichkeit in den Gedanken eines jeden würde, daß niemand auch nur auf die Idee käme, ihn in Frage zu stellen. Und weil sie nicht erkannten, daß die Wirklichkeit sich dem Forschenden immer und immer wieder aufs neue beweisen muß und nur die Phantasie sich ohne Widerspruch entfalten kann und sich nicht der harten Logik auszusetzen braucht. Schon allein der Gedanke, Fragen zu stellen, war fast unmöglich, aber nur fast.«
    Rolth Catham erhob sich. Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne, die durch das Fenster fielen, spiegelten sich auf dem künstlichen Teil seines Schädels. »Ich habe noch eine Frage, Dr. Koshar. Wie sterben die Soldaten?«
    »Möchten Sie es wirklich wissen?« sagte Clea leise. »Kennen Sie das Spiel Zuma, das in letzter Zeit so große Beliebtheit erlangte? Der Computer hat einen Selektor, der auf ähnlicher Grundlage, nur mit einer viel größeren Matrix arbeitet und so eine willkürliche Auswahl der Soldaten trifft, die sterben sollen. Ist diese Auswahl getroffen, wird der Traum durch gelenkte Suggestion in eine Situation manövriert, die den Tod gestattet. Danach elektrifiziert der Computer die Zelle mit dem Ausgewählten, und der Betreffende wird eingeäschert. Die Zelle ist frei für einen weiteren, durch Drogen in

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