Die Tulpe des Bösen
keinen Aufwand, es ist alles ganz zwanglos, nur Ihr und ich. Was Ihr mir zu berichten habt, dürfte nicht für fremde Ohren bestimmt sein. Und bis dahin zu niemandem ein Wort, auch nicht über unsere Verabredung!«
Katoen blieb den Nachmittag über nicht untätig. Nachdem er alle Formalitäten hinsichtlich des inhaftierten Barent Vestens erledigt hatte, suchte er die im Rathaus gelegene Waisenkammer auf, um mit den Waisenmeistern über Felix zu sprechen. Sie hörten sich genau an, was er zu sagen hatte, und schienen das Ungewöhnliche des Falles zu erkennen. Er erhielt ein Dokument, das Felix vorübergehend seiner Obhut unterstellte.
»Die Bestätigung der endgültigen Vormundschaft wird ein paar Tage dauern«, sagte einer der Waisenmeister, »aber letztlieh dürfte dem nichts entgegenstehen. Ihr strebt doch die Vormundschaft über den Jungen an?«
Es war eine einfache Frage, und doch zögerte Katoen mit der Antwort. Er dachte über die Verpflichtung nach, die er damit einging, die ihn einschränkte und an ein anderes Leben band. An einen Jungen, dessen Herkunft im unklaren lag und womöglich sogar anrüchig war – wie seine eigene, wenn er an seine Mutter dachte. Einen Jungen, der niemanden auf der Welt hatte – wie er selbst für einige Jahre, als er nach dem Tod seines Vaters ins Waisenhaus gesteckt worden war. Er dachte an die erste Begegnung mit dem schmutzigen, verängstigten Jungen, dem Schlangenkind. Er dachte daran, wie Felix ihm am vergangenen Donnerstag zum Singel gefolgt war. Und er dachte an den Sonntagnachmittag in Lingelbachs Irrgarten. Es war einer seiner schönsten Sonntage seit langem gewesen. Ihm war, als spürte er wieder, wie Felix nach seiner Hand griff und sich ihm anvertraute.
»Habt Ihr meine Frage nicht verstanden, Mijnheer Katoen?« drängelte der Waisenmeister.
»Ich habe sie verstanden, und die Antwort lautet: Ja, ich beantrage hiermit die Vormundschaft über Felix.«
»Gut, das halten wir gleich fest.« Der Waisenmeister tunkte die Spitzes seines Federkiels ins Tintenfaß und stutzte plötzlich. »Aber der Junge hat ja gar keinen Familiennamen.«
»Doch, den hat er. Schreibt ›Katoen‹!«
Nach dem Gespräch mit den Waisenmeistern verließ er das Rathaus und legte den kurzen Weg zum Bankhaus de Koning zurück, das sich ebenfalls am Dam befand. Als er vor dem Gebäude mit dem reichverzierten Glockengiebel stand, dachte er an den toten Balthasar de Koning. Mit diesem Mord hatte für Katoen alles angefangen, und vielleicht war es der Anfang vom Ende seiner Tätigkeit als Amtsinspektor.
Die Tage waren verstrichen, ohne daß er auch nur einen greifbaren Hinweis auf den Tulpenmörder gefunden hatte. Seine letzte Hoffnung war das Treffen, das die geheimnisvollen Erpresser mit Joan Blaeu vereinbart hatten. Vielleicht standen sie in einem Zusammenhang mit den Tulpenmorden, wenn sie sich schon für die Lage der Tulpenküste interessierten.
Sollte auch das keine Früchte tragen, würde er sich wohl oder übel an den Gedanken gewöhnen müssen, daß der Mörder sich am nächsten Montag ein weiteres Opfer suchen würde. Das würde dann allerdings nicht mehr seine Angelegenheit sein. Sollte er Nicolaas van der Zyl dafür verfluchen, daß er ausgerechnet ihn, Katoen, mit der Suche nach dem Mörder betraut hatte? Wohl kaum, denn es war auf der einen Seite zwar eine undankbare Aufgabe, auf der anderen aber ein Vertrauensbeweis. Und war nicht er derjenige, der dieses Vertrauen durch sein Versagen enttäuschte?
Er wischte die düsteren Gedanken beiseite, um die Anweisung über fünfhundertvierzig Gulden, die er von Blaeu für seine Vermittlung bei den Kartenschnappern erhalten hatte, einzureichen. Der Kontorist, ein kleiner Mann mit schmalem Gesicht und schütterem Haar, studierte das Papier gründlich.
»Ist etwas nicht in Ordnung?« fragte Katoen.
»Doch, doch, die Unterschrift ist echt. Ich kenne den Schriftzug von Joan Blaeu so gut wie meinen eigenen. Ich betreue seine Angelegenheiten seit vielen Jahren.«
»Aha«, sagte Katoen nur. »Dann akzeptiert Ihr die Anweisung also.«
»Ja, gewiß, es ist bloß eine beträchtliche Summe, nicht? Wollt Ihr einen so großen Betrag wirklich mit Euch herumtragen?«
»Nein.«
Das eben noch skeptische Gesicht des Kontoristen hellte sich auf. »Nein, Ihr wollt es nicht ausbezahlt haben? Das ist gut, Mijnheer. Dann wollt Ihr das Geld also auf Euren Namen bei uns deponieren.«
»Nein.«
Die kurze Freude in dem schmalen Gesicht wich neuerlicher
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