Die Tulpe des Bösen
nur Noortje, sondern auch ihrem verstorbenen Mann – und sich selbst.
K APITEL 25
Später Besuch
M it gemischten Gefühlen begab Katoen sich am Abend zum Damrak. Auf die Fragen des Amtsrichters nach dem Stand der Ermittlungen konnte er gut verzichten, aber das half nichts. Er brauchte van der Zyl für das, was er vorhatte. Für die Falle, die er morgen zu stellen beabsichtigte. Wem auch immer.
Als er in den Damrak einbog, sprach ihn plötzlich aus dem Nebel heraus eine heisere Stimme an: »Hat der Herr vielleicht einen Stüber übrig oder auch nur ein paar Pfennige?«
Ein alter Mann mit verfilztem Bart und zerrissenen Kleidern näherte sich ihm. Der linke Fuß steckte in einem aufgerissenen Stiefel, der rechte war nur mit schmutzigen Lappen umwickelt. Der Mund und das gesamte Gesicht des Alten waren schief, wie durch eine Krankheit entstellt. Der Mann streckte die geöffnete Rechte aus. »Ein wenig Geld für einen armen, alten, hungrigen Mann, bitte!«
Katoen blieb stehen und sagte: »Tut mir einen Gefallen und laßt mich in Ruhe, Alter. Ich habe mein Maß an Mildtätigkeit heute schon übererfüllt, glaubt mir.«
»Das will ich Euch gern glauben, Mijnheer, aber es nützt mir nichts. Es füllt meinen Magen nicht.«
Jetzt mußte Katoen lächeln. »Da habt Ihr allerdings recht. Womit wollt Ihr Euren Magen denn füllen, mit Brot und Wurst oder mit Bier und Schnaps?«
»Was würdet Ihr denn wählen?«
»Erst Brot und Wurst, dann Bier und Schnaps.«
»Das klingt gut«, meinte der Alte augenrollend. »Ich schließe mich Eurer Wahl gern an, falls Ihr das nötige Kleingeld habt.«
Der Mann war wirklich geschickt. Er hatte sein Kleingeld, wie er es nannte, schon allein damit verdient, daß er Katoen zum Lächeln brachte. Also bekam er fünf Stüber.
»Oh, sehr schön, danke. Aber auf die Wurst muß ich dann wohl verzichten.«
»Aber nicht doch, mein Bester.« Katoen verdoppelte die Anzahl der Münzen. »Da habt Ihr, und einen guten Rat gibt es noch dazu: Schaut genau hin, wen Ihr ansprecht. Es könnte ja mal einer darunter sein, der keinen Spaß versteht, ein Büttel aus dem Rathaus oder gar ein Amtsinspektor. Ihr wißt, das Betteln ist in Amsterdam verboten.«
Während er die Münzen schneller verschwinden ließ, als Katoens Blick es verfolgen konnte, nickte der Alte. »Das weiß ich, und es grämt mich auch sehr. Aber Ihr habt dafür gesorgt, daß ich meinen Kummer jetzt mit einem guten Kräuterschnaps herunterspülen kann. Ich wünsche Euch noch einen angenehmen Abend, Mijnheer.«
Mit diesen Worten wandte der Bettler sich in Richtung Dam und verschwand im Nebel, der gegen Abend wieder etwas dichter geworden war. Bei diesem Wetter, das sie vor dem Auge des Gesetzes verbarg, fiel es den Krüppeln, Bettlern und Zigeunern leicht, ihrer verbotenen Tätigkeit nachzugehen, aber auch bei gutem Wetter waren Amsterdams Gassen voll von ihnen, allen Verboten zum Trotz. Elend und Hunger, oft natürlich auch der Durst nach Schnaps, trieb die Ärmsten der Armen auf die Straßen, und Katoen für sein Teil hatte nichts dagegen. Von irgend etwas mußten diejenigen, die zu krank oder zu alt waren, um zu arbeiten, schließlich leben.
Übel war jedoch, daß Gauner und Halunken sich unter das Bettlervolk mischten und sich zuweilen zu regelrechten Banden zusammenschlossen. Wer in einer stillen Gasse von einem Bettler angesprochen wurde, mußte immer damit rechnen, im nächsten Augenblick ein scharfes Messer an der Kehle zu haben. Aus diesem Grund war das Betteln verboten, und die hohen Herren von Magistrat und Kirche versuchten, dem Unwesen durch die Einrichtung von Armenhospizen und Wohltätigkeitslotterien Einhalt zu gebieten. Ganze Steuern, wie die auf die Einfuhr von Getreide, auf pompöse Begräbnisse, auf Bankette oder Versteigerungen, wurden nur erhoben, um mit dem Geld die Armut zu bekämpfen. Aber es würde nie genug Hospize, kostenlose Brotausgaben und Geldspenden geben. Das Elend war ein gefräßiges Tier, ein gieriges Ungeheuer, dessen Hunger nicht zu stillen war.
Der Bettler mit dem schiefen Gesicht schien sich mit seinem Schicksal abgefunden und sich ein heiteres Gemüt bewahrt zu haben. Katoen kannte nicht wenige, die in besseren Verhältnissen lebten als der Alte, deren Gesicht nicht verunstaltet war und die doch nicht ansatzweise über solchen Witz und solche Schlagfertigkeit verfügten wie er. Noch immer schmunzelnd, setzte er seinen Weg fort.
Vor dem Haus des Amtsrichters blieb er stehen und dachte an den
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