Die Tulpe des Bösen
denn Euer angeblicher Zeuge?«
»Derselbe, der in dem Bauernhaus, in dem Ihr Euch für die Nacht versteckt hattet, die Karte der Tulpenküste und den Bericht des Kreuzfahrers an sich genommen hat. Er wird vor Gericht aussagen, daß er Euch erkannt hat.«
Wohlweislich verschwieg Katoen, daß sein Zeuge ein Waisenjunge war, noch dazu einer, der Barent Vestens nie zuvor gesehen hatte. Aber er hegte keinen Zweifel daran, daß Vestens der kräftige Mann mit dem rotblonden Bart war, den Felix ihm am Morgen beschrieben hatte. Bei einer Gegenüberstellung würde der Junge ihn mit Sicherheit wiedererkennen.
Aber er wollte Felix, so es irgend ging, aus der Sache heraushalten und hoffte deshalb, daß er Vestens aus der Reserve locken konnte.
Blaeu starrte Vestens ungläubig an; er schien sich noch immer gegen den Gedanken zu sträuben, daß Katoen recht hatte. »Das ist doch alles nicht wahr, Barent, oder? Sagt doch etwas dazu!«
Vestens nahm die noch immer verschränkten Arme herunter und stützte sich auf die Lehne eines schweren Stuhls. »Was soll ich dazu sagen außer …«
Ruckartig hob er den Stuhl hoch und warf ihn nach Katoen. Der konnte sich im letzten Augenblick bücken. Der Stuhl streifte nur seine Wange und prallte hinter ihm gegen die Wand, wo das Holz krachend zersplitterte.
Vestens wollte aus dem Kontor fliehen, aber noch bevor er die Tür erreicht hatte, war Katoen mit einem langen Satz bei ihm und riß ihn zu Boden. Sie rangen miteinander, und Vestens erwies sich als durchaus ebenbürtiger Gegner. Während der vielen Jahre, die er als Kontorist gearbeitet hatte, waren seine Muskeln offensichtlich nicht verkümmert. Die beiden Männer rollten, ineinander verkrallt, über den gefliesten Boden, einmal gewann der eine die Oberhand, dann der andere.
In einer Ecke gelang es Vestens, sich auf Katoen zu setzen. Seine großen Hände legten sich um Katoens Hals, um ihm die Luft abzudrücken. Katoens Kehle schmerzte, und das Atmen fiel ihm schwer. Da erinnerte er sich an etwas, das er bei Robbert Cors gelernt hatte. Von einem Augenblick auf den anderen stellte er jede Gegenwehr ein. Jegliche Anspannung wich aus seinem Körper, als sei er bereits tot.
Tatsächlich reagierte Vestens wie erhofft und nahm für den Moment, den er benötigte, um sich über die neue Lage Klarheit zu verschaffen, den Druck von seinem Gegner. Dieser Augenblick genügte Katoen, um seine Muskeln erneut anzuspannen und Vestens von sich zu schleudern. Der Kontorist rollte durch den halben Raum, bis ein kunstvoll geschnitztes Tischbein ihn aufhielt.
Katoen brauchte ein paar Sekunden, um wieder zu Atem zu kommen. Noch schmerzte das Luftholen, aber das würde bald vorübergehen. Während vor seinen Augen noch schwarze Flecke tanzten, sah er, wie Vestens sich an dem Tisch hochzog. Er wartete ab, was der Kontorist vorhatte. Wenn er den Raum verlassen wollte, mußte er erneut versuchen, an Katoen vorbeizukommen. Der wollte es nicht auf eine neuerliche Kraftprobe ankommen lassen und tastete nach seinem Dolch.
Vestens aber drehte sich um und lief auf die beiden großen Fenster zu. Schützend hob er die Arme vors Gesicht und sprang durch eines der Fenster. Das Klirren des zersplitternden Glases hallte ebenso laut in Katoens Ohren wie zuvor das Krachen des zerbrechenden Stuhls.
Vorbei an Joan Blaeu, der am Tisch saß und den Zweikampf entgeistert verfolgt hatte, ging er ohne Hast hinüber zu den Fenstern, hinter denen sich die Mauern der Nieuwe Kerk erhoben. Draußen kniete, blutüberströmt, Barent Vestens, flankiert und festgehalten von den beiden Männern, die Katoen dort postiert hatte: Jan Dekkert und Henk Bogaert.
»Ist er schwer verletzt?« rief Katoen nach draußen.
»Es sieht wohl schlimmer aus, als es ist«, antwortete Deckert. »Ein paar Schnittwunden, die ordentlich bluten.«
»Dann bringt ihn wieder herein. Unsere Unterhaltung ist noch nicht beendet.«
Als die Büttel kurz darauf Vestens zurück ins Kontor brachten, hatten sie seine Hände mit eisernen Fesseln aneinandergekettet. Das Gesicht des Hauptkontoristen war unversehrt geblieben, aber Arme und Brust wiesen ein paar übel blutende Schnittverletzungen auf. Die Wunden verursachten ihm gehörige Schmerzen; Katoen sah, wie er die Zähne zusammenbiß.
»Vielleicht sollte sich das lieber ein Arzt ansehen«, meinte Dekkert.
»Das hat Zeit«, sagte Katoen und wandte sich an den Verletzten. »Nehmt doch Platz, Mijnheer Vestens. Das war alles ein wenig anstrengend, nicht wahr?«
Die
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