Die Tulpe des Bösen
Schmutz vom Filz. Der blaue Federbusch war abgeknickt. Katoen zog ihn heraus und ließ ihn achtlos fallen.
»Das tut mir leid. Ich werde Euch den Hut ersetzen.«
»Nicht nötig, ich habe die Farbe Blau seit einiger Zeit ohnehin über.«
Der Wind drehte und trieb ihnen den schweren Pechgeruch entgegen.
»Gehen wir doch ein Stück«, schlug van Rosven vor. »Wo man nicht gut atmen kann, läßt es sich auch nicht gut reden.«
Sie gingen quer über das Werftgelände zum Ufer des IJ, wo sie sich auf einer hölzernen Werkzeugkiste niederließen. Auf dem Wasser herrschte reger Betrieb. Kleinere Schiffe kamen von der Zuidersee oder fuhren zu ihr hinaus, um den vor der Insel Texel ankernden großen Handelsschiffen die Ladung abzunehmen oder sie für eine neue Fahrt mit Fracht und Proviant zu versorgen. Katoen meinte sogar, den schweren Duft exotischer Gewürze wahrzunehmen.
Die Anspannung, die er seit Claes Pieters’ Angriff empfunden hatte, ließ nach, und erst jetzt spürte er ein schmerzhaftes Pochen, das von seinem Kreuz ausging und über den ganzen Rücken ausstrahlte. Er stöhnte leise, als er seinen Rücken vorsichtig abtastete.
Van Rosven sah ihn besorgt an. »Hoffentlich ist es nichts Ernstes.«
»Das hoffe ich auch, Mijnheer …«
»Paulus van Rosven.« Er lächelte entschuldigend. »In all der Aufregung habe ich vergessen, mich richtig vorzustellen. Ich bin Jacob van Rosvens ältester Sohn.«
»Und Ihr führt nach dem Tod Eures Vaters die Geschäfte weiter?«
»Nicht allein, sondern gemeinsam mit meinem Bruder Mathijs, meiner Schwester Cornelia und meiner Mutter. So lautet der Letzte Wille meines Vaters.«
»Sind vier Köpfe nicht zu viel, wenn es gilt, eine Entscheidung zu treffen?«
»Im Gegenteil, vier Meinungen sind hilfreicher als drei, zwei oder eine, und entschieden wird so, wie die Mehrheit es für richtig hält.«
»Bei vier Stimmen muß es nicht unbedingt eine Mehrheit geben.«
»Auch daran hat mein Vater gedacht. In solchen Fällen ist die Stimme meiner Mutter die ausschlaggebende.«
»Euer Vater scheint sich alles genau überlegt zu haben.«
»Das hat er.« Nach einem langen, prüfenden Blick auf Katoen fügte der junge Werftbesitzer hinzu: »Ihr braucht also gar nicht erst daran zu denken, daß ein ungeduldiger Erbe meinen Vater auf dem Gewissen haben könnte.«
»Lest Ihr meine Gedanken, Mijnheer van Rosven?«
»Das nicht, aber ich erahne sie. Wenn Ihr in dem Fall ermittelt, muß Euch ein solcher Gedanke zwangsläufig kommen, dafür habe ich Verständnis. Aber glaubt mir, in unserer Familie sucht Ihr den Mörder vergebens. Für meine Geschwister lege ich die Hand ins Feuer, und meine Mutter ist ohnehin über jeden Zweifel erhaben.«
»Ich glaube Euch, denn es hat einen weiteren Mord gegeben, und der hat mit Eurer Familie nichts zu tun«, sagte Katoen und berichtete von Balthasar de Konings Ende.
Van Rosven zeigte sich bestürzt und brauchte eine ganze Weile, bis er sich wieder gefaßt hatte. Schließlich fragte er: »Aber wie kommt Ihr darauf, daß es sich in beiden Fällen um denselben Mörder handelt?«
»Erstens: Beide Männer wurden auf ähnliche Weise erstochen. Zweitens: Beide Taten ereigneten sich an einem Montagabend nach der Zusammenkunft der ›Verehrer der Tulpe‹. Drittens: Beide Opfer hielten das hier in der Hand.«
Katoen zog eine kleine hölzerne Schnupftabakdose hervor und nahm den Deckel ab. In der Dose lag ein schwarzes, mit roten Flecken gesprenkeltes Blütenblatt.
Van Rosven nahm die Dose in die Hand und betrachtete ihren Inhalt ausgiebig. »Das ist also das Blütenblatt, das bei meinem Vater gefunden wurde!«
»Ihr wißt davon?«
»Der Amtsrichter hat mir davon erzählt.«
»Er hat es Euch nicht gezeigt?«
»Nein. Warum auch? Niemand in unserer Familie kennt sich auch nur annähernd so gut mit Tulpen aus wie mein Vater. Das war seine Leidenschaft.«
»Ihr könnt mir also nicht sagen, von welcher Tulpe dieses Blatt stammt?«
»Nein.«
»Habt Ihr schon einmal, vielleicht bei Eurem Vater oder in Eurem Haus, eine Tulpe mit diesem oder einem ähnlichen Muster gesehen?«
Van Rosven überlegte kurz und schüttelte dann den Kopf. »Nicht daß ich wüßte. Aber auch wenn Tulpen nicht gerade mein Steckenpferd sind, nehme ich doch an, daß es sich hier um ein sehr seltenes Muster handelt.«
»Um das zu sehen, muß man in der Tat kein Tulpenkenner sein.« Katoen nahm die Dose wieder an sich und setzte den Deckel darauf.
»Das ist übrigens nicht das
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