Die Tulpe des Bösen
das Wirtshaus verlassen hatten.«
»Da seid Ihr sicher?«
»Gewiß, ich war bei beiden Zusammenkünften zugegen. Ich war noch nicht lange zu Hause und hatte mich noch nicht meiner Kleider entledigt, als ein Nachtwächter kam, um mir von dem Mord an de Koning zu berichten. Deswegen konnte ich so schnell bei der Zuiderkerk sein.«
Allmählich begriff Katoen, daß die große Sorge, die er bei Nicolaas van der Zyl spürte, nicht nur dem Schicksal der Niederlande galt, sondern auch seinem eigenen.
K APITEL 3
Tulpenfieber
A ls Jeremias Katoen am späten Vormittag das Gelände der Werft betrat, die bis vor kurzem Jacob van Rosven gehört hatte, schlug ihm ein Gemisch aus den unterschiedlichsten Geräuschen und Gerüchen entgegen. Eine salzige Brise kam vom IJ, dem Meeresarm der Zuidersee, der Amsterdam vom nördlich gelegenen Volewijk trennte. Sie vermengte sich mit der schweren, klebrigen Ausdünstung von erhitztem Pech. Rechts von ihm hatten die Werftarbeiter ein dickbauchiges Handelsschiff gekielholt, um die Planken auszubessern. Über einer ummauerten Feuerstelle hing ein großer Kessel, in dem zwei Männer, die sich zum Schutz gegen den Gestank Tücher vor Mund und Nase gebunden hatten, das Kalfaterpech erhitzten, mit dem andere Arbeiter die neuen Plankengänge abdichteten. Überall auf der Werft wurde gehämmert und gesägt, und gellende Zurufe dienten der Verständigung. Die Möwen, die gelassen über allem kreisten, schienen sich einen Spaß daraus zu machen, den Lärm der Menschen mit ihrem schrillen Geschrei noch zu übertönen.
Die allgemeine Geschäftigkeit erfüllte Katoen mit Stolz auf sein Land und seine Mitbürger. Mit Fleiß, Disziplin und Zähigkeit hatten sich die Niederlande zur führenden Seefahrts-und Handelsmacht hochgearbeitet. Kein Wunder, daß andere Nationen mit Neid und Furcht verfolgten, was sich in den Vereinigten Provinzen tat. Vor Katoens innerem Auge füllte sich das Meer vor Amsterdams Küste mit feindlichen Schiffen; überall waren Kanonendonner und Pulverrauch, und fremde Soldaten zogen mordend, brandschatzend und plündernd durch die Stadt. Er war fest entschlossen, es nicht so weit kommen zu lassen. Was immer in seiner Macht stand, um Amsterdam und die Vereinigten Niederlande zu beschützen, er wollte es tun. Sein Vater hatte mit Admiral Tromp auf See gekämpft, und er führte seinen Kampf hier, um jene Feinde zu vernichten, die womöglich gefährlicher waren als fremde Seeleute und Soldaten: Spione und Mörder.
Er stand neben dem gekielholten Schiff und sah sich um, als er plötzlich schnelle Schritte hörte und aus den Augenwinkeln eine schemenhafte Bewegung hinter sich wahrnahm. Alarmiert versuchte er, sich umzudrehen und gleichzeitig zur Seite auszuweichen. Doch es war zu spät: Etwas schlug hart gegen sein Kreuz und warf ihn zu Boden. Katoen fiel in den Schmutz und verlor seinen breitkrempigen Hut mit dem blauen Federbusch. Schnell rollte er sich zur Seite und entging dadurch einem weiteren Angriff. Ein kurzes Stück von einem Seil, am Ende zu einem dicken Knoten gebunden, klatschte auf die Stelle, an der er eben noch gelegen hatte.
Der Angreifer war ein nicht sonderlich großer, aber kräftiger Mann, fast haarlos, mit einer braunen Lederklappe über dem linken Auge. Schnaufend wie ein wilder Stier, drehte er sich zu Katoen um und holte mit seinem geknoteten Seil zu einem weiteren Schlag aus.
Jetzt kamen Katoen die Übungsstunden zugute, die er bei dem stadtbekannten Ringkämpfer Robbert Cors genommen hatte. Scherenartig umschlossen seine Beine die Unterschenkel des anderen, und der stürzte, noch bevor er seinen Schlag ausführen konnte, neben dem Amtsinspektor in den Schmutz. Der Mann stieß mit dem Kopf gegen einen Stapel Schiffsplanken und war für einen Augenblick benommen. Die Zeit reichte Katoen, um ihm das Seil zu entreißen und es weit von sich zu schleudern. Er hockte sich rittlings auf den Gestürzten und sah, daß dessen Augenklappe verrutscht war. Darunter gähnte eine leere Höhle.
Aber schon drohte neue Gefahr. Die Werftarbeiter kreisten die beiden am Boden liegenden Männer ein und bedachten Katoen mit mißtrauischen, ja feindseligen Blicken. Es waren durchweg kräftige Gestalten, und viele von ihnen hielten ein Werkzeug in Händen.
Ebenso ablehnend wie ihre Blicke waren ihre Worte: »Was will der fremde Stutzer hier?« – »Er schnüffelt rum!« – »Ist vielleicht van Rosvens Mörder oder ein Freund von ihm!« – »Jedenfalls hat er hier nichts zu
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