Die Tulpe des Bösen
Blütenblatt, das bei Eurem Vater gefunden wurde, sondern jenes, das der tote Balthasar de Koning in der Hand hielt. Allerdings ähneln beide Blätter einander ungemein. Wir können mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, daß ein und derselbe Täter beide Morde begangen hat.«
»Und habt Ihr schon eine Spur?«
»Nichts außer diesem Blütenblatt.«
Als Jeremias Katoen die Werft verließ, war er unzufrieden. Das Gespräch mit Paulus van Rosven war ebenso unergiebig verlaufen wie das mit Balthasar de Konings Angehörigen, das er geführt hatte, bevor er zur Werft gegangen war. Der Familie des Bankiers war das, was de Koning zugestoßen war, ebenso rätselhaft wie Paulus van Rosven das Schicksal seines Vaters. Niemand schien etwas zu wissen, das ihn bei seinen Ermittlungen hätte voranbringen können. Wieder und wieder reihte er in Gedanken alle bekannten Fakten aneinander und versuchte, einen Sinn dahinter zu entdecken. Zwei Montagabende, zwei Morde, zwei angesehene Bürger als Opfer, beide Mitglieder der ›Verehrer der Tulpe‹. Das alles paßte noch zu der Theorie des Amtsrichters, daß hier eine feindliche Macht die Fäden zog. Aber die Sache mit dem Blütenblatt, das vermutlich der Mörder hinterlassen hatte, machte das Ganze mysteriös.
Je länger er darüber nachdachte, desto mehr mußte er sich anstrengen, um überhaupt einen klaren Gedanken zu fassen. Nach dem nächtlichen Gespräch mit dem Amtsrichter war er noch in seine Wohnung am Botermarkt gegangen und hatte sich für ein paar Stunden hingelegt, aber obwohl er völlig übermüdet war, hatte er kaum Schlaf gefunden. Jetzt spürte er den Schlafmangel überdeutlich, und sein schmerzendes Kreuz tat ein übriges, um seine Stimmung zu drücken.
In seine quälenden Gedanken versunken, war er in südwestlicher Richtung gegangen, ohne daß er hätte sagen können, warum. Die Werftanlagen hatte er hinter sich gelassen, und zu seiner Linken erstreckten sich nun die ausgedehnten Grünanlagen der Plantage, wo die Amsterdamer abends nach getaner Arbeit gern flanierten. Jetzt aber, am hellichten Tag, drückte sich vorwiegend lichtscheues Gesindel im Schatten der Bäume herum, Dirnenpack und dessen Freier.
Er blieb am Rande der Plantage stehen und beobachtete eine Frau in einem auffälligen Kleid aus rot leuchtendem Stoff. Sie hatte ihn auch gesehen und kam nun mit aufreizenden Bewegungen auf ihn zu. Sie war nicht so jung, wie ihr Kleid und der übertriebene Hüftschwung wohl glauben machen sollten, und ihr üppiger Leib drohte den roten Stoff jeden Augenblick zu sprengen. Ein seltsames Gefühl ergriff Katoen, eine Mischung aus Ekel und Wut, und er war versucht, das schamlose Weibsstück festzunehmen und wegen verbotener Hurerei anzuklagen. Die Dirne schien ihm anzusehen, daß er über ihr Erscheinen nicht erfreut war. Sie stockte plötzlich, und auf ihrem etwas zu breiten Gesicht zeichnete sich Unsicherheit ab, bevor sie auf dem Absatz kehrtmachte und sich schnellen Schrittes entfernte. Den Impuls, ihr nachzulaufen, um sie ihrer verdienten Strafe zuzuführen, unterdrückte er. Er war zu erschöpft und hatte Wichtigeres zu tun.
Erst jetzt wurde ihm bewußt, daß er nicht weit von der Jodenbreestraat entfernt war, wo sich das Wirtshaus Zu den drei Tulpen befand. War es gar kein Zufall, daß er diese Richtung eingeschlagen hatte? Er wandte sich nach rechts und mußte nicht mehr weit gehen, da das Wirtshaus am östlichen Ende der Jodenbreestraat stand. Das Schild mit den drei ineinander verschlungenen Tulpen über dem Eingang war weithin zu sehen. Er trat ein und stellte fest, daß es in dieser Wirtsstube heller war als in den meisten anderen. An den Wänden hingen Gemälde, ausnahmslos Darstellungen verschiedenster Tulpen. Sämtliche Blumen auf den Bildern hatten auffällig gemusterte Blütenblätter in allen möglichen Farben, doch nach einer schwarzen Tulpe mit tropfenförmigen roten Flecken suchte er vergebens.
Nur zwei Tische waren besetzt, und der Wirt, ein stämmiger Mann in den Vierzigern, langweilte sich sichtlich hinter seinem Ausschank. Katoen grüßte ihn höflich und bestellte ein Delfter Bier. »Und dazu eine Pfeife mit gutem Tabak.«
»Etwas von den besseren Sorten aus Utrecht oder Veluwe?« fragte der Wirt, während er einen hübsch verzierten Bierkrug aus Zinn vor Katoen hinstellte.
»Ich meinte wirklich guten Tabak.«
Der Wirt lächelte. »Etwa den amerikanischen aus Virginia?«
»Wenn Ihr den habt.«
»Natürlich habe ich den, aber den
Weitere Kostenlose Bücher